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Tuesday, July 29, 2025

Han Kang - Die Vegetarierin

Verstörend ist das Adjektiv, dass mir nach der Lektüre von Han Kangs Roman Die Vegetarierin als erstes in den Kopf kommt. Ich vermute, das Vegetarismus in Südkorea nicht sonderlich verbreitet ist, weswegen die Autorin diesen Titel wählte. Denn eigentlich ist die Weigerung Fleisch bzw. tierische Produkte zu essen, nur Mittel zum Zweck und ist die scheinbar einzige Möglichkeit der jungen Kim Yeong-hye, sich gegen ihr Leben aufzulehnen und Selbstbestimmung zu erlangen. Sie stammt aus von dem gewalttätigen Vater bestimmten Familie, fast beiläufig wird erzählt, dass dieser seine Tochter jahrelang mit dem Rohrstock geschlagen hat. Ähnlich ergeht es ihr in der Ehe. Ihr Mann betrachtet sie als praktische Ergänzung seines Lebens, sie ist fügsam, versorgt ihn und fällt sonst nicht weiter auf. Als sie beginnt, sich vegetarisch zu ernähren, verweigert sie auch den Geschlechtsverkehr, was scheinbar ganz selbstverständlich dazu führt, dass ihr Mann sie vergewaltigt. Die Träume, die Yeong-hye verfolgen, bleiben rätselhaft. 
Der zweite der drei Teile des Romans nimmt die Persepektive des Schwagers ein, der 
Yeong-hyes Leiden miterlebt. Als Künstler überlässt er Yeong-hyes Schwester In-hye das Geldverdienen und den Haushalt, er selbst verliert sich in Fantasien über Yeong-hye und ihren Körper. Vordergründig will er sie in ein Videokunstprojekt involvieren, was aber schließlich auch in eine Art Vergewaltigung mündet, der Yeong-hye zwar keinen Widerstand entgegenbringt, was ihr aber aufgrund ihres psychischen Zustands auch kaum möglich ist. 
Im dritten Teil erfahren wir, wie In-hye über die Ereignisse denkt, während sie ihre Schwester besucht, die sich in einer geschlossenen Psychiatrie zu Tode hungert. Erst die Konfrontation mit dem dramatischen Zustand der Schwester lässt sie reflektieren, wie sie ihr Leben führt und was sie erkennt, erschreckt sie dermaßen, dass sie über Selbstmord nachdenkt. 
Besonders beeindruckend an Die Vegetarierin ist die weitgehend nüchterne Sprache, selbst bei höchst emotionalen Ereignissen. Man spürt, wie die Charaktere ihre Fassaden aufrecht erhalten wollen, ein angepasstes Leben führen, so dass sich die psychischen Belastungen schließlich in ungewöhnlicher Weise Bahn brechen müssen.  

Han Kang gewann den Nobelpreis für Literatur im Jahr 2024

Han Kang, Die Vegetarierin. Aufbau 2016. 

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