Friday, November 28, 2025

Tashim Durgun - »Mama, bitte lern Deutsch«

Tashim Durguns biographisches Buch »Mama, bitte lern Deutsch« : Unser Eingliederungsversuch in eine geschlossene Gesellschaft gelangte im Frühjahr 2025 auf die Bestsellerlisten. Durgun schildert dabei sehr persönlich, humorvoll, aber zugleich analytisch seine Erfahrungen als Kind einer jesidisch-kurdischen Migrantenfamilie in Niedersachsen. Er spricht von seinen Geschwistern, aber vor allem viel über seine Mutter. Vor deren Gewandtheit in ihrer Muttersprache hat er großen Respekt, doch aufgrund ihrer fehlenden Deutschkenntnisse auch nach mehreren Jahren in Deutschland gerät er, der Sohn, immer wieder als kindlicher oder jugendlicher Übersetzer in prekäre Situationen: In der Schule, in der Einwanderungsbehörde, bei Arztbesuchen und vielem mehr. Exemplarisch stehen Tashim Durguns Erfahrungen für die vieler migrantischer Kinder, die Aufgaben übernehmen müssen, die sie zwar sprachlich besser bewältigen können als ihre Eltern, die sie aber in anderer Hinsicht nicht überblicken oder begreifen können. Doch auch wenn die leicht vorwurfsvolle Ansprache "Mama, bitte lern Deutsch" darauf hinweist, dass die Mutter in all den Jahren nichts oder zu wenig für ihre sprachliche Integration in die deutsche Gesellschaft getan hat, so beleuchtet das Buch in vielen Szenen die Verschlossenheit eben dieser Gesellschaft, die es der Familie nicht leicht macht, aus der sozialen, sprachlichen und kulturellen Begrenztheit auszubrechen und ein anderes, besseres Miteinander zu erreichen. Wer muss hier wo den ersten Schritt tun? Schuldzuweisungen gibt es nicht, sie bringen auch niemanden weiter. Verständnis, aufeinander zugehen, Unterschiede erkennen und wahrnehmen, aber nicht verurteilen, so verstehe ich die Botschaft von Tashim Durgums Buch, das einen Schritt dazu tut, indem es die Migration von "der anderen Seite" beleuchtet. Und das ist eine Perspektive, die gerade im Jahr 2025 allen Menschen nur gut tun kann. 

Tashim Durgun, »Mama, bitte lern Deutsch« : Unser Eingliederungsversuch in eine geschlossene Gesellschaft. Argon 2025.
 

 

Tuesday, November 18, 2025

Ernest Hemingway - A Farewell to Arms

Ernest Hemingway veröffentlichte A Farewell to Arms (dt. Titel In einem anderen Land) im Jahr 1929 nach seinen Erfahrungen im ersten Weltkrieg, wo er als Sanitäter an der italienischen Front diente. Sein Protagonist Lieutenant Frederic Henry wird im Dienst verwundet und verliebt sich in die englische Krankenschwester Catherine Barkley. Die Geschichte berichtet von verschiedenen Erlebnissen an der Front, mit anderen Mitgliedern der Armee und die Liebesgeschichte. Es wird viel getrunken, es gibt derbe Sprache und einigen Sex. Letzteres führt zu einer Schwangerschaft Catherines. Das Paar flieht aufgrund der sich zuspitzenden militärischen Situation in die Schweiz, entkommt so zwar dem Krieg, aber schließlich bleibt Frederic allein im Regen zurück. Soviel in aller Kürze. 
Bedenkt man den biografischen Aspekt, so ist klar, dass Hemingways Erfahrungen dramatisch/traumatisch gewesen sein müssen, so drastisch und ablehnend sind seine Schilderungen. Die Liebesgeschichte blieb mir fremd, da ich wenig nachvollziehen konnte, was die beiden zueinander zieht. Catherine ist als Figur eher ein Schattenriss als ein Charakter. Sprachlich wird Hemingways Ansatz, möglichst klar und unprätentiös zu schreiben, sehr deutlich, allerdings wirkt dies passagenweise sehr emotionslos und ein wenig hölzern. Die häufigen Wiederholungen einzelner Phrasen und Wörter haben mich wenig berührt, sondern sorgten eher für Ermüdungserscheinungen. Die Aufnahme von Librivox hat mir dann geholfen, bis zum Ende zu kommen...

Nun ist es ein Klassiker mehr, den ich auf den "gelesen"-Stapel schieben kann, mit Hemingway werde ich wohl immer eine schwierige Beziehung behalten, soviel ist zumindest klar. 

Ernest Hemingway, A Farewell to Arms. Arrow Books 2004 / librivox recording


 

Amanda Peters - Beeren pflücken

Beeren pflücken von Amanda Peters wird aus zwei Erzählperspektiven erzählt, von Norma und Joe. Die Geschichte beginnt im Sommer 1962, als eine Mi'kmaq-Familie aus Nova Scotia nach Maine reist, um dort auf den Blaubeerfeldern zu arbeiten. Joe erinnert sich sehr deutlich an diesen Sommer, denn seine vierjährige Schwester Ruthie verschwindet eines Tages spurlos. Trotz intensiven Suchens (ohne polizeiliche Hilfe, denn die interessiert ein Kind der Indigenen nicht) taucht sie nicht wieder auf. Norma wächst bei einer reichen weißen Familie in Maine auf. Sie erinnert sich in ihrer Kindheit an Dinge, die sie nicht einordnen kann, die ihre Mutter ihr aber als böse Träume abtut. Norma ist klar, dass in ihrem Zuhause nicht alles in Ordnung ist und ihre Eltern ihr etwas verschweigen. 
Über 50 Jahre erstrecken sich die Erzählungen von Norma und Joe, die im Gegensatz zum Lesenden nicht wissen, was geschehen ist. Für Joe ergibt sich aus dem Verlust der Schwester - an  dem er sich, dem Sechsjährigen, die Schuld gibt - ein Trauma, dass zu Alkoholismus und Abgrenzung gegenüber seiner Familie führt, und das er nur spät im Leben auflösen kann. Norma hingegen ist ruhelos und bleibt unsicher, was ihre Identität angeht, obwohl sie lange nicht weiß, was ihr eigentlich fehlt. Erst der Tod der Mutter ermöglicht ihr die Chance, das Geheimnis ihrer Herkunft und der Vergangenheit aufzudecken. 
Norma findet ihre eigentliche Familie wieder und Heilung kann beginnen, auch wenn Joe nicht mehr lange zu leben hat. 

Mir hat Beeren pflücken sehr gut gefallen. Die beiden Protagonisten, gut umgesetzt im Audiobook von Suzanne von Borsody und Jörg Schüttauf, sind authentische und interessante Charaktere. Emotionen wirken direkt, ungeschönt und intensiv, es wird nichts romantisiert. Joe ist gnadenlos in seinem Urteil über seine Alkoholsucht, seine damit verbundenen Taten und seine Schwäche, anderen vergibt er leicht. Norma schafft es, den Menschen, die sie ihr Leben lang belogen haben, dennoch zu verzeihen und selbst im Rückblick Verständnis für sie aufzubringen, trotz ihrer gerechtfertigten Wut, die sie auch zulässt. Auch die anderen im Buch angesprochenen Themen wie beispielsweise Kindesverlust oder Rassismus finden angemessen Raum, wenngleich ich gerade im Bereich der Diskriminierung der indigenen Familien noch mehr erwartet hätte. Klare Lese-/Hörempfehlung.

Amanda Peters, Beeren pflücken. HarperCollings 2023.

Sunday, November 09, 2025

Lee Child - Ausgeliefert

Man muss das Lee Child schon lassen - das Outline und das Setting seiner Romane hat Qualitäten. In Ausgeliefert, dem zweiten Band der Jack Reacher Reihe, gerät dieser per Zufall in eine Entführungssituation vor einer Schnellreinigung. Die Entführer wissen nicht so recht, was zu tun ist, und nehmen ihn einfach zusätzlich zum eigentlichen Opfer mit - ohne zu wissen, was für einen Gegner sie sich damit ins Haus holen. Es folgt eine Phase des Katz und Maus Spiels, bei der sich Reacher und Holly kennen- und vertrauen lernen, sie finden erst nach einer Weile heraus, dass sie durch Militär und FBI-Ausbildung durchaus gewappnet sind für die Situation, die sie erwartet. Und die könnte auch krasser nicht sein, denn die beiden werden in ein Milizenlager im Wald von Montana verschleppt. Die dortige Community plant einen wahnsinnigen Coup gegen die USA und will sich zu einem unabhängigen Staat erklären. Im Lager herrschen hierarchie- und gewaltbetonte Strukturen und mehrfach hängen die Leben der beiden Entführten am seidenen Faden. Gleichzeitig bemüht sich Hollys FBI-Gruppe und auch Hollys Vater als einflussreicher General sie zu befreien. Doch es gibt noch einige Hindernisse, von denen niemand etwas weiß. 

Ausgeliefert hält über weite Teile durch actionreiche Handlung die Spannung auf einem hohen Level, gibt aber trotzdem den Protagonisten Raum. Der Fokus auf die Waffen, ihre Eigenschaften und Effizienz gehen mir ein bisschen quer runter, dafür bin ich vielleicht einfach nicht die passende Leserin und auch nicht für die Kampfszenen. Alles im allem ist es aber spannende Unterhaltung im Superheroactiongenre.

Lee Child, Ausgeliefert. Audio Media Verlag 2018.

Monday, November 03, 2025

Romalyn Tilghman - Die Bücherfrauen

Romalyn Tilghmans Die Bücherfrauen spielt in einer kleinen Kleinstadt in Kansas und beleuchtet das Leben von drei unterschiedlichen Frauen. Der noch kleinere Nachbarort ist kürzlich von einem Hurricane dem Erdboden gleich gemacht worden - nur die Fassade der Bibliothek ist stehengeblieben. Gayle hadert nach dem Verlust ihres Heims mit allem. Traci ist eine mittellose Künstlerin, die aus NYC geflohen ist, um wenigstens für einen kurzen Zeitraum mit einer Tätigkeit im Kulturzentrum Geld zu verdienen. Angelina kehrt in den Heimatort ihrer Großmutter zurück und will hier an ihrer Dissertation über die Carnegie-Bibliotheken schreiben. (Der reiche Industrielle Andrew Carnegie finanzierte die Gründung von mehr als 2500 Bibliotheken in den USA.) Im Verlauf des Romans finden die drei Frauen neue Wege für ihre Zukunft, vor allem auch durch das Miteinander im Kulturzentrum, dem Zusammenhalt der Frauen des Ortes und schließlich den gemeinsamen Plan, die alte Bibliothek wieder aufzubauen.  
Einiges in Die Bücherfrauen ist ganz berührend und der Roman bricht eine Lanze für die Wichtigkeit eines offenen Raumes für Begegnung mit Literatur und Kunst - eine durchaus relevante Frage in Zeiten, wo die Finanzierung von Bibliotheken und anderen öffentlichen Angeboten schwierig ist und bleibt. Die drei Perspektiven wechseln in relativ kurzen Kapiteln, was ich manchmal eher als störend empfunden habe und das eher dazu führte, dass ein Anstand zu den Charakteren blieb. Insgesamt bleibt es eher eine leichte Lektüre mit einem Happy End. 

Romalyn Tilghman, Die Bücherfrauen. Fischer 2021.