Saturday, December 01, 2018

Heinrich Böll - Die verlorene Ehre der Katharina Blum


Einerseits ist Heinrich Bölls Erzählung Die verlorene Ehre der Katharina Blum durchaus noch aktuell, andererseits überrascht sie in der heutigen Medienwelt mit ihren fake news nicht mehr besonders.
Katharina Blum verliebt sich auf einer abendlichen Tanzveranstaltung im Karneval in den 70ern in Ludwig Götten und nimmt ihn - entgegen ihren Gewohnheiten - mit zu sich nach Hause. Leider wird Götten polizeilich gesucht, er ist Bundeswehrdeserteur und wird verschiedener anderer Verbrechen verdächtigt. Sie verhilft ihm zur Flucht und wird daraufhin selbst verhört und verhaftet. Viele der Details über Verhöre und Ermittlung gelangen an die Presse - nämlich die Bild-Zeitung (nur marginal kaschiert durch Böll mit dem Namen die ZEITUNG), die darüber reißerisch berichtet, Zeugenaussagen verfälscht oder glatt erfindet. Von dieser Berichterstattung ist Katharina schwer getroffen, sieht ihren Ruf und ihr Leben zerstört, für das sie hart gearbeitet hat. Auch andere, ihr nahestehende Menschen werden geschädigt auf unterschiedliche Art und Weise. Am Schluss steht eine Gewalttat, die sie nicht bereut und für die sie vor Gericht geradestehen muss. 
Böll wählt einen Erzähler, der von sich selbst behauptet sehr wissend zu sein, weil er die solidesten Quellen nachweisen kann, und auch im Fluss der Erzählung zwischendurch immer wieder anmerkt, woher seine Informationen stammen. Gleichzeitig weist er stets darauf hin, wie skrupellos die ZEITUNG an Informationen gelangt und/oder diese verfälscht, um einen möglichst großen Effekt zu erzielen. Man erkennt, wie in den 70ern noch ein Glaube an die Verpflichtung zur Wahrheit in einer medialen Berichterstattung vorherrschte, die Empörung, die in Bölls Erzählung über die Lügen und unmoralische Sensationsgeilheit durchklingt. Wie abgestumpft wir diesbezüglich doch sind! Ein intelligenter Leser sucht heutzutage seine Wahrheit in der Schnittmenge der vielen, ideologisch eingefärbten Quellen, wählt sorgsam aus, wem er glaubt, und bleibt dabei immer skeptisch. Doch die tumbe Masse glaubt damals wie heute dem, was die Massenmedien ihnen vorkauen, als dramatische Neuigkeit verkaufen, während anderes erst gar nicht in diese Medien gelangt. Die Fähigkeit, Medien stets zu hinterfragen, muss stets an erster Stelle stehen - die Lügen und Verfälschungen überall sind aberwitzig. Die heutige Medienlandschaft hätte den Böll von damals sicherlich zutiefst erschreckt.

Heinrich Böll, Die verlorene Ehre der Katharina Blum. Oder: Wie Gewalt entstehen und wohin sie führen kann. Erzählung. Kiepenheuer & Witsch, Köln 1974.

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