Tuesday, December 25, 2012

Daniel Kehlmann - Der fernste Ort


Der fernste Ort ist eine Novelle von Daniel Kehlmann, die 2001 und damit vier Jahre vor seinem Bestseller Die Vermessung der Welt erschienen ist. Der Titel Der fernste Ort ist eine Adaption von Ultima Thule, dem fernsten bekannten Ort im Norden der Welt.
Für das Cover des Buches wurde Réné Magrittes La reproduction interdite (1937) verwendet, sehr treffend für eine Geschichte, die selbst surreal wirkt, von Spiegelungen und verschwommener (Selbst-) Wahrnehmung nur so wimmelt. Sie handelt von Julian, der sein durchschnittlich-mittelmäßigs Leben hinter sich lassen will und dabei in Rückblenden von seinen vorangegangenen und von seinen aktuellen Fluchtversuchen berichtet. Eine akkurate Zusammenfassung der Handlung findet sich bei wikipedia, die allerdings nicht darstellt, wie im Zuge der Novelle die Grenzen von Realität und träumend-halluzinierender Wahrnehmung Julians immer mehr verschwimmen. Am Ende bleibt die Frage offen, was vom Geschilderten tatsächlich noch passiert.
Mich erinnerte gerade der Beginn der Erzählung aus irgendeinem, sich mir nicht näher erschließenden Grund an Thomas Mann, vielleicht ist es die Verzweiflung und übermäßige Beobachtungs- und Reflexionsgabe des Protagonisten, vielleicht auch die Sprache mit langen, ins Detail gehenden Sätzen. Die bereits erwähnte verschwimmende Realität des Erzählten erschwerten mir im letzten Drittel der Novelle ein wenig das Verständnis, zumal alles mit Symbolen und Querbezügen zu Vorangegangenem schier überfrachtet ist (eventuell ein Audiobook-Problem, gelesen vielleicht einfacher). Kehlmann zieht ständig Verbindungen zu Gewesenem, zur Psyche, zum Unterbewussten des Protagonisten. Gründe für dessen Fluchtwunsch sind viele zu finden, vor allem seine Losgelöstheit und Distanziertheit zu allen ihn umgebenden Menschen, in der Familie und im Beruf. Ob die Flucht aus dem ungeliebten, vielleicht sogar nicht lebenswertem Leben gelingen kann, wird nicht beantwortet, denn die Surrealität der Handlung der letzten zwei Abschnitte lässt diese undeutlich bleiben. Wohin Julian am Ende geht, ist offen, der Tod ist nur eine Möglichkeit.
Unbestritten hat Kehlmann hier sprachlich und erzählerisch eine große kleine Geschichte geschrieben, die von Matthias Brandt exzellent umgesetzt wurde.

Daniel Kehlmann, Der fernste Ort. Hörbuch Hamburg 2010.

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