Sunday, August 24, 2025

Linda Castillo - Böse Seelen

In ihrem achten Fall, Böse Seelen, wird Kate Burkholder gebeten, eine Under-Cover-Mission im Staat New York zu übernehmen. Ein junges Mädchen der amischen Gemeinde wurde tot aufgefunden, doch alle Beteiligten schweigen. Kate reist also getarnt als amische Witwe in den kleinen Ort, um innerhalb der besonders orthodoxen Gemeinde zu ermitteln. Schon sehr bald ist klar, dass der dortige selbsternannte Bischof äußerst seltsame Auffassungen und Methoden hat und schon bald gerät Kate selbst in Gefahr und auf ihr Backup kann sie sich nicht verlassen...
Das Besondere der Reihe von Linda Castillo ist das Setting in der amischen Gemeinschaft. Die Idee, Kate als Expertin auch under Cover einzusetzen, ist naheliegend und der Perspektivwechsel interessant: Nach all den Jahren außerhalb ihrer ursprünglichen Glaubensgemeinschaft nimmt sie Vor- und Nachteile des amischen Lebens intensiv wahr, besonders verstärkt durch das extreme Setting, in das sie hineingeworfen wird. 
Leider hat mich die Auflösung des Falls nicht zufriedengestellt, das alles war etwas holprig und willkürlich. Wie immer rennt Kate auf kopflos in die Gefahr, ohne ausreichendes Backup und Wissen, das ist schon fast Teil des Konzepts der Reihe, als könne ein Showdown nicht auch mal anders aussehen. 

Linda Castillo, Böse Seelen. Argon 2016.

Friday, August 22, 2025

Kenah Cusanit - Babel

Gern hätte ich Kenah Cusanits Roman Babel gemocht. Die Geschichte des Archäologen Robert Koldewey, der den Turm zu Babel ausgegraben hat? 1913 - kurz vor Ausbruch des zweiten Weltkriegs? Das scheint historisch doch ein spannender Moment zu sein. Zumal es aus deutscher Sicht auch ein Wettlauf mit der Zeit war - konnten die wichtigen Artefakte und vor allem Schrifttafeln rechtzeitig gesichert werden und damit dem nationalen Ansehen zu mehr Glanz verhelfen? Hat man über die geraubte Kunst reflektiert?
Die Autorin hat sich offenkundig intensiv mit der Persönlichkeit Koldeweys auseinandergesetzt, zumal er zahllose Briefe und Notizbücher hinterlassen hat, die der Alltagskommunikation und Dokumentation seiner Funde dienten. So besteht aber auch der Roman aus einer Aneinanderreihung von Koldeweys Gedankengängen, eine Art philosophischer, wissenschafticher, gesellschaftsreflektierender Wust von Ideen, Beobachtungen und Tagträumereien. Dabei bleibt Koldewey keineswegs in seinem Fachgebiet (das sowieso nicht ganz klar umrissen ist von seiner Ausbildung her...), sondern mäandert von Medizin zu Politik, von Theologie zu Geschichte, und so weiter. 

Die teils sehr schönen, aber auch sehr verschachtelten Satzgebilde führen meistens nirgendwohin. Dazu kommt die völlige Abwesenheit einer Handlung. Über weite Teile des Buches passiert nichts, Koldewey liegt mit Bauchschmerzen in seinem Zimmer, Koldewey geht hinaus zur Grabungsstelle und tut dort nichts (die Landschaft wirkt auf ihn). Bei der Fahrt nach Berlin, bei der eine gedanklich halbwegs interessante Parallele zwischen dem immer wieder überbautem Babylon und dem zur Großstadt anwachsenden Berlin errichtet wird, passiert auch fast nichts. Hinzu kommen aneinandergereihte Briefe (immer nur eine Seite des Dialogs) und Listen z.B. mit Chiffren oder Arbeiternamen. Dieses Babel war nicht so sehr sprachverwirrend als vielmehr ein verwirrender Querschnitt intellektuellen Gedankenguts zu dieser Zeit mit absurden und sehr vereinzelt weisen Erkenntnissen, die darin versteckt liegen. Wäre das Buch nicht relativ kurz gewesen, hätte ich es vermutlich abgebrochen. Ich habe Hochachtung vor der Arbeit, die Babel zugrunde liegen muss, aber als Lesende hat es mich nicht überzeugen können und mir wenig Freude bereitet. 

Kenah Cusanit, Babel. Hanser 2019.

Thursday, August 21, 2025

Ewald Arenz - Zwei Leben

Ewald Arenz Roman Zwei Leben spielt in einem Dorf in Süddeutschland im Jahr 1971. Roberta ist 20 und hat in der nächsten Stadt eine Schneiderlehre gemacht. Doch anstatt ihre Träume von interessanten Kleidern, Mode und Paris anzugehen, kehrt sie pflichtschuldig auf den Hof der Eltern zurück. Ihre Liebe zum Pfarrerssohn Wilhelm ist ihr Gegenpol zur Arbeit mit Vieh und Acker. Parallel wird zudem die Geschichte von Gertrud, der Pfarrersfrau, erzählt, die sich nichts sehnlicher wünscht, als dem für sie freudlosen Leben auf dem Land zu entkommen.
Arenz entwirft zwei gegensätzliche Frauenfiguren, die schlussendlich aber doch ähnliche Erfahrungen machen und ähnliche Lebensentscheidungen treffen müssen. Mir haben die Figuren und ihre Situationen zunächst gut gefallen: Gertrud, die aus Loyalität heraus nicht aus ihrem Leben ausbrechen will, aber es schließlich tun muss. Roberta, die noch so jung ist, dass sie sich erst vorsichtig herantasten muss, was ein gutes, erfülltes Leben für sie bedeutet. Während Pfarrer und Robertas Eltern nur umrissen werden und als Charaktere keine Bedeutung erlangen, gefällt mir Robertas Großvater als Figur gut. Doch schon bei dem gemeinsamen Nenner der Frauen, nämlich Wilhelm, habe ich Schwierigkeiten. Er ist zu gut, um wahr zu sein, er ist für seine Zeit den Frauen gegenüber sehr rücksichts- und verständnisvoll. Er traut Roberta mehr zu als sie sich selbst, seine Mutter unterstützt er vorbehaltlos. Und das in einem konservativen Umfeld 1971. Ein halbes Wunder von einem jungen Mann, der von beiden Frauen idealisiert wird. Dabei driftet der durchaus tragische Plottwist für meinen Geschmack dann auch zu sehr ins Kitschige ab. Nun erlaubt der Autor seinen Protagonistinnen, Lebensentscheidungen zu treffen, an die sie vorher kaum zu denken wagten. Insgesamt ist Zwei Leben ein durchaus unterhaltsamer Roman mit Einblicken in Ort und Zeit, der aber ungenutztes Potential in Bezug auf die Frauenperspektive (finanzielle Unabhängigkeit, Abtreibung...) hat. 

Ewald Arenz, Zwei Leben. DAV 2024.

Saturday, August 16, 2025

Enid Blyton - Fünf Freunde im Zeltlager

In Fünf Freunde im Zeltlager campen die Kinder in einem Moorgebiet, unter dem an einer Stelle ein Eisenbahntunnel verläuft. Auf einer ihrer Erkundungstouren finden sie außerdem einen verlassenen Bahnhof und einen verwirrten einbeinigen Mann, der von Geisterzügen spricht. Das Abenteuer kündigt sich an. Doch es gibt Streit, denn Julian und Dick wollen die Mädchen nicht mitnehmen, wenn sie nachts losziehen, um den Geisterzug zu finden. Anne ist wie immer mit ihrer Hausfrauenrolle zufrieden, aber George ist eingeschnappt. Natürlich zu recht, aber 1948 bei Erscheinen des Buches lagen die Dinge anders. Zum Glück fügt sich alles gut zusammen, denn dadurch, dass sie getrennt voneinander unterwegs sind, können sie sich zu Hilfe eilen, als sich die Ereignisse zuspitzen. 
Diese Geschichte kannte ich noch nicht von den früheren Hörspielen und mich hat sie nicht recht überzeugen können. Das Motiv für den Geisterzug ist schwach dargestellt und der Nebencharakter Jock hatte keine sinnvolle Funktion, außer dass die Fünf eigentlich immer jemanden kennenlernen müssen. Auch die Anwesenheit von Professor Luffy hat sich mir nicht erschlossen. 

Enid Blyton, Fünf Freunde im Zeltlager. cbj 2015.

Friday, August 15, 2025

Lee Child - Größenwahn

Ja, ich weiß, ich bin spät dran mit der Reihe. Das merkt man dem ersten Band Größenwahn von Lee Childs Jack-Reacher-Reihe auch ein wenig an aufgrund der Abwesenheit von für uns selbstverständlichen Technologien. Reacher ist ein Macho-Protagonist, der diverse Klischees auf sich vereint, aber irgendwie hat er mich dennoch in seinen Bann geschlagen. Obwohl 1997 (!) erschienen, funktioniert die Story immer noch ganz ordentlich, die Liebesgeschichte ist ebenfalls ein wenig klischeehaft, aber das Tempo der Geschichte hat mich trotz der mehr als 500 Seiten bei Laune gehalten, die gewaltbetonten und actionreichen Szenen haben mich nicht allzu sehr gestört. Jetzt gedenke ich, das Buch mit der ersten Staffel der Serie zu vergleichen. Und mal schauen, ob und wann es mit Ausgeliefert weitergeht. 

Lee Child, Größenwahn. Blanvalet 2017. 

Saturday, August 09, 2025

Volker Kutscher - Rath

In Rath bringt Volker Kutscher seine erfolgreiche historische Krimireihe um Gereon Rath und seine Frau Charly zu einem Abschluss. Es ist das Jahr 1938, die Nationalsozialisten sind an der Macht und drücken allen ihr System auf. Die Restriktionen für die jüdischen Mitmenschen nehmen zu und der Antisemitismus tritt offen und mit Gewalt zutage. Der nach Deutschland zurückgekehrte Gereon muss sich weiter verstecken, und weil sein totkranker Vater doch noch durchhält, liegen seine Auswanderungspläne mit Charly auf Eis. Diese muss einmal mehr für ihren Pflegesohn Fritze kämpfen, dem die Morde an zweien seiner Hitlerjungenkollegen vorgeworfen werden. Seine jetziger Pflegevater ist allzu schnell bereit, die Vorwürfe gegen ihn zu stützen, so dass Fritze sich - mal wieder - verstecken muss, bis Charly unter denkbar schlechten Voraussetzungen seine Unschuld beweisen kann. Viele Handlungsstränge laufen in Rath parallel: Nicht nur Gereon und Charly, sondern auch Fritze, einige der umtriebigen Kollegen von Gereon, Gereons Bruder Severin und dessen Freundin Marion, die den Mord an ihrem Ehemann rächen will. Gleichzeitig bemüht sich der Autor auch intensiv um die Darstellung des historischen Settings, was in der Schilderung der Reichsprogromnacht gipfelt. Er flicht einige jüdische Einzelschicksale ein, versucht die Brutalität der KZs darzustellen, thematisiert die Auswanderungs- und Fluchtversuche und streift auch noch das Thema (sexuellen) Missbrauchs sowohl in der HJ als auch in der katholischen Kirche. Das alles ist in Summe einfach sehr viel, nicht immer kann er all diesen Themen vielleicht gleichermaßen gerecht werden, aber es ist beachtlich, dass er die ganzen Handlungsstränge dennoch zu akzeptablen, wenn auch teils weiter offenen Enden bringt. Der Epilog wirft den historischen dunklen Schatten auf das, was nach 1938 noch kommt.

Für mich hat die Reihe eine durchgehend hohe Qualität und schafft es mit interessanten und vielseitigen Charakteren sowohl eine spannende Krimihandlung als auch historische Atmosphäre zu schaffen. Ich bin gespannt, welchem Projekt sich der Autor als nächstes zuwendet.  

Volker Kutscher, Rath. Osterwold 2024. 

Saturday, August 02, 2025

R.F. Kuang - Babel

Babel von R.F. Kuang ist schwer einzuordnen. Der Roman spielt in einem fiktiven Oxford in den 1830er Jahren und neben den realistischen Bezügen dichtet Kuang eine fantastische Ebene hinzu, bei der Silber und Sprache auf magische Weise genutzt wird, um Prozesse zu optimieren und den Besitzern dieser Silberbarren Vorteile zu verschaffen. Das sprachliche Wissen, das man für diese Art von Magie benötigt, wird in Babel, einem Turm der Universität Oxford, gelehrt. Natürlich nützt sie dadurch auch hauptsächlich den Briten, die ihre Kolonialmacht aufrecht erhalten wollen. Wir erfahren dies alles nach und nach durch die Augen von Robin Swift, einem kantonesischen Jungen, der von Professort Lowell mit nach England genommen wird und dort eine strikte sprachliche Ausbildung erfährt. Er beginnt sein Studium in Babel und ist fasziniert von Sprache und Büchern. Aber er erfährt am eigenen Leib und durch seine Freund:innen, dass die Gesellschaft und auch die Gelehrten in Oxford hochgradig rassistisch sind. Als Robin seinem Halbbruder begegnet, führt dieser ihm vor Augen wie ausbeuterisch das imperialistische System und damit auch Babel ist, welches er mit einer Gruppe von anderen zu bekämpfen sucht. Robin ist hin- und hergerissen von seiner Faszination von Bildung, Sprachstudium und Literatur, was ihm Babel ermöglicht, erkennt aber auch die Gewalt, die von dem System ausgeht. 
Die Erzählung ist gespickt mit zahlreichen Fußnoten (im englischen Audiobook gelesen von Billie Fulford-Brown, während die Geschichte von Chris Lew Kum Hoi umgesetzt wird) und Erläuterungen zu den diskriminierenden Geschehnissen, denen die Freund:innen ausgesetzt sind, und jeder Menge Hintergrundinformation zu Oxford, Sprache, Grammatik, Imperialismus, u.v.m. 
Man hat zum Teil das Gefühl, selbst an den Lektionen der Professoren von Babel teilzunehmen, außerdem möchte man die langatmigen Erklärungen, wie schlecht sich Großbritannien als Weltmacht benommen hat gern überspringen. 
Kurzum, mich hat Babel nicht begeistert, trotz der konzeptionellen Pluspunkte - das klang vielversprechend. Der Roman hat etwa 560 Seiten, das Audiobook über 15 Stunden. Ich habe jetzt knappe 30 Prozent hinter mir und gebe auf. Ich habe nicht die Kondition und nicht die Motivation. 

R.F. Kuang, Babel. Harper Collins 2022. 

Elizabeth Strout - Mit Blick aufs Meer


Elizabeth Strouts Geschichten in Mit Blick aufs Meer (Original: Olive Kitteridge, 2008) spielen in Crosby, einer kleinen Ortschaft an der Küste von Maine. Locker verbunden sind sie durch Olive Kitteridge, eine pensionierte Highschoollehrerin. Olive ist entweder Protagonistin oder Beobachterin der Geschehnisse, oft wird sie aber auch nur am Rande erwähnt. Die Charaktere befinden sich oft in einer Krise oder einer Phase, in der sie über ihr Leben reflektieren. Nein, das ist meistens nicht heiter, oft ist es sogar bedrückend. Olive Kitteridge selbst ist kein freundlicher Charakter, eher im Gegenteil, ihre Mitmenschen mögen sie oftmals nicht besonders, ihre Schüler:innen haben Angst vor ihr. Ihren sanften, freundlichen Ehemann behandelt sie schroff und bereut schließlich, ihn nicht mehr wertgeschätzt zu haben. Das Verhältnis zu ihrem Sohn ist problematisch. Trotz ihrer schwierigen Art ist sie dennoch oft eine Stütze in der kleinen Gemeinschaft in Crosby, manchmal merken selbst die Charaktere erst spät, das Olive das Richtige (für sie) getan hat. Die Geschichten und ihre Charaktere in ihren schwierigen Lebenssituationen haben mich mal mehr und mal weniger angesprochen, aber Erzählstil, Sprache und die losen Verbindungen der einzelnen Episoden waren überzeugend. Hier kann ich die Vergabe des Pulitzer Prize für Mit Blick aufs Meer nachvollziehen. 

Elizabeth Strout, Mit Blick aufs Meer. Luchterhand 2010.