Thursday, March 11, 2021

Ursula Krechel - Landgericht

In Landgericht erzählt Ursula Krechel die Geschichte des jüdischen Richters Richard Kornitzer. Sein beruflicher Erfolg und das Glück seiner Familie werden durch die Nazis zerstört, seine Kinder sind in England, er selbst im Exil in Kuba, seine nicht-jüdische Frau bleibt in ungesicherten Verhältnissen in Deutschland zurück. Der Roman beginnt mit dem Wiedersehen des Ehepaars 1947 - und auch wenn die beiden einigermaßen wieder zueinanderfinden, so ist ihre Familie zerrissen, die Kinder ihnen fremd, seine berufliche Zukunft (am Landgericht in Mainz) problematisch. Kornitzer ist getrieben vom Wunsch, die ihm zugestoßene Ungerechtigkeit auszugleichen und scheitert dabei immer wieder an persönlichen Hindernissen und den juristischen Unzulänglichkeit der neuen Bundesrepublik, die noch längst nicht in der Lage ist, sich der Nazi-Vergangenheit in allen Konsequenzen zu stellen.

Angelehnt hat Krechel ihren Roman an die Biographie des Richters Robert Michaelis, wodurch das erzählte Leid und Unrecht ein zusätzliches Gewicht erhält, weil es real geschehen ist. Dieses Gewicht ist es vermutlich auch, was zunächst beeindruckend erscheint. Die Autorin versucht einen Spagat, indem sie der historischem Figur einerseits gerecht werden, andererseits aber auch die tiefen Emotionen ihres Protagonisten literarisch umsetzen will.
Ich finde, dies gelingt leider nicht - auch wenn ich mich damit in die Opposition zur Jury des deutschen Buchpreises befinde, die den Roman 2012 zum Gewinner kürte. Betitelt als Roman, wirken viele Passagen zu sachlich, zu kalt und zu dokumentierend, um wirklich zu berühren. Andere sind wieder überbordend emotional. Parallel dazu versucht Krechel auch, die Atmosphäre der frühen Bundesrepublik mit all ihren Schwierigkeiten und Entgleisungen einzufangen, was zu langatmigen Schilderungen von städtebaulichen Entwicklungen und ähnlichem führt. Auch stellt sich die Frage nach dem zentralen Thema: Ist es nun Kornitzer Angegriffenheit, die Zerissenheit, die sein Exil und der Verlust von Status und Familie in jungen Jahren ausgelöst haben? Liegt der Kern in seinen Beziehungen zu seiner Frau, seinen Kindern? Oder doch vielmehr in der Frage nach Gerechtigkeit, die er trotz aller Expertise und Hartnäckigkeit nicht erreichen kann?
Man könnte dies als Facettenreichtum loben, als literarischen Schachzug zu werten, wie die stilistischen und erzählerischen Ebenen durchmischt werden - aber was anfänglich in der ersten Hälfte des Romans noch überraschend und abwechslungsreich wirkt, verkommt immer mehr zur bloßen Irritation. Was will diese Geschichte?
Und sie endet schließlich, ohne die Frage so recht zu beantworten. 

Ohne die Leserunde der Mitlesezentrale wäre dies vermutlich ein Fall für einen Abbruch gewesen, da mich der Stil und die Ziellosigkeit des Erzählens geradezu genervt haben. Ich erkenne die Wichtigkeit des Themas und finde es gut, dass eine Exilbiographie erzählt wird, gerade in Zeiten, wo sich wieder viele Tausende Menschen auf der Flucht befinden. Die Form jedoch hat mich überhaupt nicht angesprochen und die Verleihung des deutschen Buchpreises erschließt sich mir nicht so recht.

Ursula Krechel, Landgericht. Jung und Jung, Salzburg/Wien 2012.


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