Sunday, May 28, 2023

Denis Thériault - Das Lächeln des Leguans

Von Denis Thériault habe ich 2014 ein kleines Buch namens Siebzehn Silben Einsamkeit gelesen. Zeitgleich wanderte wohl auch Das Lächeln des Leguans auf den Stapel - es hat bis heute dort gelegen. Es handelt von einer besonderen Freundschaft zwischen dem Ich-Erzähler und Luc. Ersterer lebt zur Zeit bei seinen Großeltern in einem kleinen Ort in Quebec, nachdem seine Eltern mit ihren Schneemobilen schwer verunglückten. Nur die Mutter überlebte, liegt aber im Koma. Luc hat seine Mutter verloren, sie beging Selbstmord, als die Situation mit Lucs brutalem Vater für sie unerträglich wurde. Die Tatsache, dass sie ins Wasser gegangen ist, bewegt Luc dazu der Unterwasserwelt ganz besondere Bedeutung beizumessen. In seinen Träumen kann er unter Wasser atmen und besucht sein eigentliches Zuhause. Er glaubt nicht, dass seine Mutter tot ist, sondern dass sie in einer Stadt im Meer auf ihn wartet.

Beide Jungen empfinden Trauer und Einsamkeit und sind sich gegenseitig eine Stütze. Luc schafft es mit seiner Fantasie und seiner künstlerischen Begabung eine Parallelwelt für die beiden Freunde zu schaffen. In dieser Welt spielt ein präparierter Leguan eine besondere Rolle, den Luc in einer Höhle am Wasser gottesgleich untergebracht hat. Die Grenzen zwischen Realität und Traumwelt verschwimmen, beeinflussen sich jedoch. Als die Jungen recherchieren, was mit Lucs Mutter tatsächlich geschehen ist und die Geschichte seiner Herkunft erfahren, nimmt das Ganze eine böse Wendung. Luc kann und will nicht akzeptieren, was sie herausgefunden haben, und trifft die Entscheidung zu einer endgültigen Flucht ins Wasser - eine Flucht, die sein Freund zwar nicht gutheißen kann, aber dennoch begleitet.

Selbst in der Übersetzung wird deutlich, wie meisterlich Denis Thériault auch sprachlich die Welten der beiden Jungs sich überlagern lässt. Die reale Welt mit Schule und anderen Verpflichtungen tritt zurück hinter die mystische, surreale Welt des Leguans und des Meeres. Während Luc immer weiter entgleitet, bleibt dem Ich-Erzähler der Anker seiner Familie, zu der er sich zugehörig fühlt, so dass er zurückkehren kann. 

Denis Thérialt, Das Lächeln des Leguans. dtv, München 2010.

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