Von Carel Fabritius, 1654 (picture wiki commons) |
Dieses Gemälde des niederländischen Malers Carel Fabritius (1622-1654) ist namensgebend für Donna Tartts 2014 mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichneten Roman. Theodor Decker besucht mit seiner Mutter das Metropolitan Museum of Art in New York, als ein Bombenanschlag alles verwüstet. Zahlreiche Menschen sterben und Theo wacht neben einem alten Mann auf, der ihm sterbend einen Ring und den Namen seines Geschäfts mit auf den Weg gibt, ihn aber auch drängt das Bild mitgehen zu lassen. In einer Plastiktüte trägt Theo das Bild durch die Trümmer nach draußen, niemand hält ihn auf.
Seine Welt bricht im Folgenden auseinander, seine Mutter ist bei dem Anschlag umgekommen. Als Halbwaise ergeben sich für ihn nun mehrere schicksalsschwere Lebensumbrüche.
Zunächst kommt er bei der reichen Familie eines Freundes unter. Während dieser Zeit wird er intensiv psychologisch betreut, scheint aber dennoch verwirrt und überwindet den Verlust kaum. Er sucht den Laden des alten Mannes auf und knüpft Kontakt zu dessen Kompagnon James Hobart. Dieser nimmt ihn väterlich auf und lehrt ihn einiges über Möbelrestauration und Kunst.
Sein alkoholkranker Vater, der die Mutter vor deren Tod verlassen hatte, taucht auf und nimmt Theo mit nach Las Vegas, kümmert sich aber wenig um ihn, vielmehr werden durch ihn und seine Freundin Xandra Alkohol und Tabletten in Theos Leben präsent. Theo lernt Boris kennen, der ebenfalls seine Mutter verloren hat, urspründlich aus der Ukraine stammt und dessen Vater noch schrecklicher ist als sein eigener. Zusammen saufen, rauchen und stehlen die beiden und experimentieren mit verschiedenen Drogen.
Als sein Vater bei einem Autounfall stirbt, flüchtet Theo zurück nach New York und kommt bei Hobie unter. Seine Schullaufbahn ist nachhaltig ruiniert, er ist tablettenabhängig, aber er interessiert sich für Kunst und das Geschäft, das allerdings kurz vor dem finanziellen Aus steht. Er schafft es meisterhaft aus dieser Klemme - aber natürlich nicht auf legalem, ehrlichen Wege.
Das Bild, der Distelfink, begleitet ihn auf all diesen Stationen, während er älter wird, macht er sich mehr und mehr Sorgen, dass man seinen Diebstahl entdecken könnte und um die ordnungsgemäße Lagerung des Bildes. Er lagert es ein und packt es jahrelang nicht aus.
Daher ist ihm über Jahre hinweg nicht klar, dass er statt des Bilder nur noch eine Atrappe besitzt, da Boris ihm in Vegas das Bild entwendet - und inzwischen in einem schiefgegangenen Drogendeal verloren hat. Dies kommt erst heraus, als Theo Boris nach Jahren in New York wiederbegegnet. Theo ist wütend und empfindet große Angst und Verlust. Eine von Boris angestiftete Rettungsaktion führt die beiden nach Amsterdam, wo aber alles schiefläuft und Theo einen ihrer Gegner erschießt. Er hängt mehrere Tage in einem Hotel ohne Pass fest, versinkt im Drogenwahn und will sich schließlich stellen. Boris taucht im letzten Moment auf und erklärt ihm, dass er das Bild durch einen Tipp bei der Polizei bezüglich des Lagerorts zurückgegeben und dafür sogar eine Belohnung in Millionenhöhe kassiert hat.
Der Roman endet mit Theo, der zu Hobie zurückkehrt, ihm alles erzählt und für seine betrügerischen Machenschaften mit dem Geschäft geradesteht. Er ist innerlich gewandelt, jedoch ist seine Zukunft weiterhin unklar.
Theo ist ein schwieriger Protagonist - typisch für Donna Tartt. Man schaut ihm auf seinem Lebensweg zu, hat Mitleid mit ihm bei seinen schweren Schicksalsschlägen, ist aber auch abgestoßen von seinen offensichtlich falschen Entscheidungen und seiner fehlenden moralischen Basis. Aber wie moralisch richtig handeln, wenn man ohne Mutter unter lauter kaputten Mitmenschen aufwächst? Denn nahezu jede der Personen um ihn herum ist auf die ein oder andere Weise versehrt, hat Schlimmes erlebt, leidet unter physischen oder psychischen Krankheiten. Da ist niemand, an dem er sich positiv orientieren kann, die Spirale führt nur abwärts. Die Ausnahme ist vielleicht Hobie, aber auch der sieht nicht (oder will nicht sehen), was mit Theo geschieht, greift nicht ein, bleibt meistens passiv. Boris, der nahezu zwangsläufig kriminell werden musste, beschleunigt Theos Absturz durch seinen halsbrecherischen Versuch, seinen Betrug (den Diebstahl des von Theo geliebten Bildes) wiedergutzumachen - nicht unbedingt ein Freund, wie man sich ihn wünscht.
Dennoch steht am Ende des Romans eine Umkehr zum Guten, zum Lebensbejahenden, zum Wunsch, das Richtige zu tun (wenn auch, ohne immer zu wissen, was dies ist). Das Bild ist der Welt zurückgegeben, vielleicht kehrt damit auch Theo zurück in die Welt.
Über 1000 Seiten hat die deutsche E-book-Ausgabe, das Audiobook in der ungekürzten Lesung dauert über 33 Stunden. Es ist ein Roman, der Zeit und auch Nerven kostet mit seinen Längen. Aber Donna Tartts Stil beschert dem Leser dennoch immer wieder Höhepunkt, Szenen und Aussagen, die einen aufhorchen, innehalten lassen. Dazwischen muss man aber auch immer wieder ... durchhalten. Es gibt vielfältige Bedeutungsebenen, auf denen man das Buch betrachten kann. Vielfach wurde es als Gesellschaftsstudie rezensiert, es hat viele kunst- und lebensphilosophische Momente. Es ist ein intensiv konstruierter, durchdachter Roman, der einen phasenweise emotional mitnimmt - allerdings eher auf einer düsteren Reise. Denn trotz der Schönheit des Bildes ist nahezu alles dunkel in dieser Geschichte und auch am Ende hat man nur eine geringe Hoffnung auf Licht und Freude im Leben des Protagonisten - es ist ein intensives, aber nicht sehr positives Stück Literatur.
Donna Tartt, Der Distelfink. Der Hörverlag 2015.
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