Verlockung von dem ungarischen Autor János Székely (1901-1958) ist ein etwa 800 Seiten starker Roman, der erstmals 1949 unter dem Titel Temptation in den USA erschien und bereits damals in zahlreiche Sprachen übersetzt wurde.
Er handelt von dem ungarischen Bauernjungen Béla, der mit 14 Jahren von seiner Mutter nach Budapest geholt wird, nachdem er bis dahin als Bastard in einer lieblosen Umgebung aufgewachsen ist. Dies weckt zunächst Hoffnung auf ein besseres Leben in ihm, doch seine Mutter verdient als Waschfrau im Budapest der 20er Jahre kaum genug Geld für Miete und Essen. So kann der talentierte Béla nicht weiter zur Schule gehen, sondern arbeitet als Boy in einem Hotel. Dort hat er Tag für Tag den Luxus der Reichen und Mächtigen seines Landes vor Augen, während er gleichzeitig hungert und Angst vor Obdachlosigkeit haben muss.
In diesem Konflikt, der mehr ein existenzieller als ein politischer ist (obwohl er mit Sozialdemokraten und Kommunisten in Kontakt kommt), versucht er dennoch, das Richtige zu tun, zu überleben, zu lieben und zu leben. Höchst menschlich sind seine Irrwege und die Tiefschläge, die ihn immer wieder treffen, sind schlimmer und bedrohlicher, als man sich das in unserer heutigen Gesellschaft vorstellen kann und mag. Am Ende steht die Katstrophe des Wohnungsverlustes, der ohnmächtigen Hilflosigkeit seines Vaters und der Tod der Mutter, die er dennoch nutzt für seine Flucht und einen möglichen Neuanfang.
Ursprünglich war der autobiografisch geprägte Roman als erster Teil einer Trilogie geplant, Székely schrieb die Fortsetzungen jedoch nie. In seinem eigenen Leben führte die Flucht aus dem unerträglichen Budapest nach dem ersten Weltkrieg zunächst nach Berlin, wo er sich als Drehbuchautor (erst Stummfilm, dann Tonfilm) einen Namen machte und von wo er schließlich von Ernst Lubitsch in die USA geholt wurde. Er erhielt 1940 sogar einen Oscar für die Vorlage für das Drehbuch zum Film Arise, my Love, das er unter dem Pseudonym John S. Toldy schrieb.
Vor dem Hintergrund der sozialen Ungerechtigkeit und der politischen Unterdrückung, die er erlebt haben muss, um sie in Verlockung so überzeugend zu schildern, erscheint es bitter, dass er in den 50er Jahren wegen seiner politischen Überzeugungen wiederum aus den USA fliehen musste.
Die brutale soziale Realität in Ungarn der 1920er schockiert, die Umstände, in denen Menschen in dieser Zeit zu überleben versuchten, sind heutzutage undenkbar. Hier zeigt sich auch die starke Wirkung des Romans: Was sind wir gesegnet, fast nie müssen wir uns wirklich existenzielle Sorgen machen! Wir essen, wir arbeiten, wir schlafen warm und trocken. Das rückt das Jammern, das uns manchmal so leicht von den Lippen kommt, in eine andere Perpektive. Natürlich kann man sagen, ja, es ist hundert Jahre her, heute ist das anders.
Die Diskrepanz zwischen reich und arm, zwischen Macht und Hilflosigkeit hingegen, die gibt es noch. Hier bietet die Geschichte - weder die des Romans, noch die historische Entwicklung - keine einfachen Antworten.
Verlockung ist sprachlich und inhaltlich beeindruckend und erinnert daran, auch wieder Literatur jenseits der ausgetretenen Pfade zu lesen.
János Székely, Verlockung. btb, München 2005.
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