John Green fasst in seinem neuen Roman Schlaft gut, ihr fiesen Gedanken (im Original Turtles all the way down) ein schwieriges Thema an.
Die Protagonistin und Ich-Erzählerin Aza leidet unter Zwangsstörungen und Ängsten, die sich bei ihr hauptsächlich in endlosen Gedankenspiralen äußern, aus denen sie keinen Ausweg findet. Sie hat Angst am Bakterium C. difficile zu sterben, versucht meistens, die Massivität ihrer Ängste vor ihrer Mutter, ihrer Freundin Daisy und anderen zu verbergen, während sie gleichzeitig in ihrer Therapie und der medikamentösen Behandlung ihrer Zwänge zweifelt. Ihre Gedanken kreisen die meiste Zeit um sich selbst und ihre Ängste, was ihre Beziehungen und die Kommunikation mit anderen stark erschwert.
Zugleich gibt es noch einen Plot um den verschwundenen und polizeilich gesuchten Milliardär Pickett, dessen Sohn Davis Aza von früher kennt. Daisy schlägt vor, Kontakt zu Davis aufzunehmen, um vielleicht den Vater zu finden und die ausgesetzte Belohnung zu kassieren. Es wäre kein YA Roman, wenn hier nicht auch Raum für eine Liebesgeschichte zwischen Aza und Davis wäre, die aber natürlich durch Azas psychische Krankheit erschwert wird. Auch die Freundschaft zu Daisy wird auf den Prüfstand gestellt, bewährt sich aber.
Eine Auflösung oder ein tatsächliches Ende gibt es in Schlaft gut, ihr fiesen Gedanken nicht. Azas Sichtweise auf ihre Krankheit verändert sich, sie versucht, ihr Verhalten im Umgang mit anderen zu ändern und sich auch helfen zu lassen. Es ist kein Happy End in Sicht, im Gegenteil: Kurze Zukunftsvisionen im letzten Kapitel lassen eher darauf schließen, dass ihr noch ein langer Leidensweg mit der Krankheit bevorsteht und dass eine vollkommene Heilung vielleicht nie erfolgen wird.
Die Stärken des Romans liegen in der wohl recht realistischen Schilderung der Gedankenschleifen, das Kämpfen gegen die destruktiven Konstrukte, die Hilflosigkeit, weil den Ängsten mit Logik nicht beizukommen ist. Beeindruckend geschildert sind auch auch die vielschichtigen Schwierigkeiten in Beziehungen. Aza fühlt sich unverstanden in ihrer Angst, ahnt, dass niemand wirklich nachvollziehen kann, wie ihre kranken Gedanken sie quälen, was vermutlich auch der Wahrheit entspricht. Denn niemand kann wirklich verstehen, wie diese Zwänge funktionieren, was sie im Inneren derjenigen anrichten, die unter ihnen leiden. Sie beinhalten keine Logik, sie sind nicht mit dem Verstand aus der Welt zu räumen, auch wenn man von außen denkt, dies sei doch ganz einfach. Gleichzeitig muss Aza auch realisieren, dass ihre ständige Beschäftigung mit sich selbst und ihrem Inneren auch dazu führt, dass sie anderen nicht die Aufmerksamkeit schenken kann, die diese verdienen. Daisy wirft ihr vor, sich nicht wirklich für sie und ihr Leben zu interessieren, dafür aber die Freundschaft mit ihren eigenen Problemen ständig zu belasten. Die Beziehung zu Davis scheitert an Azas Unfähigkeit, sich auf Nähe einzulassen, ihre Angst verhindert dies.
Der Plot hingegen ist weder sonderlich spannend, noch führt er irgendwohin, es passiert kaum etwas. Aber das ist auszuhalten zu Gunsten des großen aufklärerischen Potentials, das der Roman hat. Bedenkt man, dass etwa 2,3 % der Bevölkerung unter Zwangsstörungen leidet (Quelle wikipedia), so ist es sicher von Nutzen, mehr darüber zu erfahren.
John Green selbst weiß, worüber er schreibt, im Zuge der Veröffentlichung des Romans sprach er offen über seine eigenen Zwänge und Ängste in Interview und auf seinen Youtube-Kanal vlogbrothers.
John Green, Schlaft gut, ihr fiesen Gedanken. Hanser, München 2017.
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