Kafka am Strand von Haruki Murakami wurde erstmals 2002 veröffentlicht.
Es war ein anstrengendes, verwirrendes, vielschichtiges, faszinierendes, abgehobenes und sozusagen kafkaeskes Buch für mich, das ich über einen langen Zeitraum gelesen habe und bereits am 19.10. beendet habe. Diese "Rezension" ist der Versuch, meinen Gedanken dazu eine Struktur zu geben...
Kafka am Strand wird erzählt aus den Perspektiven zweier Personen, Kafka und Nakata.
Kafka ist 15, haut zuhause ab, als er das schlechte Verhältnis zum Vater nicht mehr ertragen kann. Seine Mutter und Schwester sind vor langer Zeit geflohen, sein Vater hat ihn außerdem mit einem oedipalen Fluch belegt. Tatsächlich wacht er einmal mit Blut an den Händen auf, hat aber in der Realität kein Verbrechen begangen. Er hat ein Alter Ego namens Krähe, mit dem er manchmal spricht und der ihm Facetten seiner Psyche zu erklären versucht. Zufälle (oder auch nicht) bringen ihn dazu, in der Komura-Gedächtnisbibliothek Zuflucht zu suchen, einige Zeit verbringt er auch im Wald in einer einsamen Hütte.
Nakata ist ein alter Mann, der Analphabet und schlecht im Denken ist. Er hält sich selbst für dumm und hat große Schwierigkeiten, mit dem Verständnis von alltäglichen Dingen. Er handelt nach einem verborgenen Prinzip, wird scheinbar gesteuert, bestimmte Dinge zu tun, und folgt Kafka. Er kann mit Katzen sprechen. Insgesamt ist er freundlich, höflich und harmlos, bis auf die Szene in der er gewungenermaßen eine Gestalt umbringt, die sich als Johnny Walker zeigt, sich in der Realität aber als Kafkas Vater erweist. Um in der Welt zurechtzukommen, findet er Hilfe bei einem jungen Mann namens Hoshino.
Hoshino organisiert für Nakata alle weltlichen Dinge und ermöglicht ihm dadurch, seine Ziele zu erreichen. Einen ähnlichen Helfer hat auch Kafka in der Person des Bibliothekars Oshima, einer Art Zwitterwesen und moralische Bezugsperson für Kafka.
Zentral für das Geschehen ist außerdem die Verwalterin/Inhaberin der Bibliothek Saekisan. Sie ist eine tragische Figur, eventuell ist sie Kafkas verschwundene Mutter, wenngleich der Beweis dafür ausbleibt. Kafka verliebt sich traumhaft und real in sie in verschiedenen Gestalten - als 15jähriges Mädchen und als ältere Frau.
Die wichtigsten Orte des Romans sind folgende:
In der Komura-Gedächtnisbibliothek findet Kafka Schutz und Hilfe, er findet einen neuen Beziehungsrahmen nach seinem lieblosen Vaterhaus. Es ist zugleich der einzige Ort, den auch Nakata und Hoshino aufsuchen, wenn auch Kafka in diesem Moment nicht dort ist. Hier laufen die Fäden zusammen; die Bibliothek dient als Symbol.
Die Hütte im Wald ist von elementarer Bedeutung für Kafkas Sinnsuche. Sie gehört Oshima und dessen Bruder, ist einsamer Rückzugsort und ermöglicht eine Besinnung auf das Ich fernab von der realen Welt. Dort ist der tranceartige Übergang in eine andere Zwischenwelt möglich, zu der Nakata symbolisch mit einem Stein andernorts den Eingang öffnet.
Kafka am Strand ist übervoll mit literarischen und mysthischen Bezügen. Musik und Philosophie sind Themen, es gibt märchenhafte Passagen, psychologische Ebenen (z.B. das Alter Ego Krähe als psychoanalytisches Element) und eine reiche Symbolik.
Dadurch ergeben sich so weitschweifende Bedeutungsebenen, so dass man sich schnell wie in einem Labyrinth vorkommt und glaubt, sich nicht mehr zurechtfinden zu können. Obwohl die beiden Hauptebenen von Kafka und Nakata sich durchaus ergänzen und miteinander in Beziehung stehen, findet die vom Leser antizipierte Zusammenführung nicht statt. Auch das Ende bietet keinen richtig befriedigenden Abschluss, auch wenn es Hoffnung vermittelt, es könne sich alles zum Guten wenden.
Gekonnt umgesetzt ist das stete Verschwimmen von Traum, Fantasie und Wirklickeit - an irgendeinem Punkt gibt man auf, dies auseinanderhalten zu wollen und gibt sich vielmehr dem Sog des Erzählten hin - das ist zwar wunderbar als literarisches Erlebnis, trotzdem bleibt dabei zwangsläufig das Gefühl zurück, nicht alles mitbekommen zu haben, nicht einmal einen Teil der Bedeutungen zu erfassen, weswegen der Roman keine einfache Lektüre ist.
Ich hätte dem Buch gern mehr Weisheit entrissen, aber phasenweise war es zu konfus, zu schwierig - man hätte Passagen mehrmals lesen müssen, um alles zu durchdringen - aber dann werden Dinge wiederum nur angerissen auf ein oder zwei Seiten, bekommen aber insgesamt zu wenig Raum, um wirklich Bedeutung zu erlangen. Daher war es oft einfacher, sich im Gebilde der interessanten Sätze weitertreiben zu lassen.
Fazit: Sicher ein Roman zur mehrfachen Lektüre, aber auch ein kräftezehrendes Werk.
Haruki Murakami, Kafka am Strand. Dumont, Köln 2011.
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