Wednesday, January 02, 2019

Ian McEwan - Abbitte

Nach Der Zementgarten und Nussschale ist Abbitte mein dritter Roman von Ian McEwan, der unbestritten einer der großen britischen Autoren der Gegenwart ist.
In vier Teilen erzählt McEwan das Drama um drei sehr unterschiedliche Charaktere. Die Schwestern Briony und Cecilia Tallis und Robbie Turner sind gemeinsam auf dem Landgut der Familie Tallis aufgewachsen, Robbie ist der Sohn einer Bediensteten, der aber von der Familie unterstützt wird. Briony ist zu Beginn der Geschichte im Jahr 1935 13 Jahre alt und mit sich selbst und der Welt nicht im Reinen. Sie will Schriftstellerin werden und versucht, um sich herum Stoff für ihre Geschichten zu entdecken. Von ihrem inneren Hang zum Dramatischen geleitet trifft sie schließlich die Entscheidung, Robbie einer Tat zu bezichtigen, die dieser nicht begangen hat. Das hat nicht nur Folgen für Robbie, sondern auch für Cecilia, die Robbie liebt, und für Briony selbst, denn fortan muss sie mit den moralischen Konsequenzen ihrer Tat leben.
Dieser eine Tag, diese eine Entscheidung Brionys, bestimmt die Leben der Menschen um sie herum. Eindrücklich schildert McEwan den psychologischen Effekt, den dies auf Brionys gesamten Denken hat. Ihre schriftstellerische Arbeit, auf die sie im letzten tagebuchartigen Kapitel eingeht, hat nur das Streben, diese eine Geschichte zu erzählen. Sie berichtet von verschiedenen Fassungen, verschiedenen erträumten Ausgängen der Geschichte, Aspekten, die sie erfand, dazudichtete und wieder strich.
Interessant finde ich, dass sich der Leser am Ende nicht sicher sein kann, ob er nun eine aufrichtige, "wahre" Fassung der Geschichte gelesen hat oder inwiefern der Leser Opfer von Brionys Versuch ist, ihr eigenes Handeln zu rechtfertigen bzw. Abbitte dafür zu leisten. Der erste Teil des Romans war schwer zu ertragen, alle Charaktere riefen Ablehnung oder Unwohlsein hervor, doch im weiteren Verlauf stieg sowohl Spannung als auch die Tiefe der Charaktere - parallel zu ihrer eigenen Weiterentwicklung im Roman. Literarisch betrachtet ist Abbitte ein Geniestreich mit Abstrichen in der Lesefreude durch die Schwere, die das Thema Schuld mit sich bringt.

Ian McEwan, Abbitte. Diogenes, Zürich 2004.

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