Pablo Picasso ist tot und hat Spanien nicht wieder betreten.
Hippies aus USA machen dort billigen Urlaub und sagen:
"Mit Politik haben wir nichts zu schaffen.
Freiheit ist dort, wo wir unsere Füße hinsetzen können."
Picasso hat gesagt: "Solang der Faschismus im Land ist,
setze ich keinen Fuß mehr in meine Heimat."
Er ist tot, der lebendigste Proteus der tausend Gestalten!
Und Francos Mumie lebt noch und hebt noch den Arm.
Der Leitartikel im "Guardian" in London erwähnt,
Picasso sei Kommunist und für die klassenlose Gesellschaft gewesen,
und er erklärt das im rühmenden Nachruf
nachsichtig mit den Worten: "Er war zweifelsohne naiv."
Zweifelsohne naiv wie sein Guernica-Bild. -
Und zweifelsohne naiv halten Mütter noch immer
ihre ermordeten Kinder im Arm, in Kambodscha
und in den Flüchtlingslagern der vertriebenen Palästinenser.
Zweifelsohne naiv brüllen noch immer die Ochsen
und krepieren noch immer Pferde, wo Bomben fallen und Napalm,
und zweifelsohne naiv verstand Picasso das Leben,
das er aufstehen ließ in tausend Spiegelfacetten,
In zerweinten Gesichtern und in verrenkten Leibern,
in Mensch und Tier und lebendigen Fabelwesen,
in Krampf und Erstarren, in Fülle und Kampf und Zeugung.
Proteus ist tot, und Guernica stirbt noch und lebt noch immer.
Gedicht aus: Erich Fried, Einbruch der Wirklichkeit, 1991. In: Gesammelte Werke. Gedichte 3. Wagenbach, Berlin 1998.
Bild: Pablo Picasso, Guernica. 1937.