Saturday, May 28, 2022

Hugo Horiot - Der König bin ich

Hugo Horiot wurde als Kind mit Asberger-Autismus diagnostiziert. In Der König bin ICH erzählt er die Geschichte seines Wegs in die Welt, seinen Wegs mit seiner Andersartigkeit leben zu können. Horiot arbeitet  inzwischen als Regisseur und Schauspieler in Paris.

Das Buch beginnt mit dem vierjährigen Julien, der mit niemandem spricht. Er will nichts von sich preisgeben, er will vielmehr der Welt entfliehen, zurück in den Mutterleib.
Alles, was seine Mitmenschen um ihn herum als normal erachten, interessiert ihn nicht. Er nimmt keinen Kontakt mit Gleichaltrigen auf. Doch als er sechs wird, beschließt Julien, dass er in die Welt hinaus muss und sich von seiner Innenwelt trennen muss, um leben zu. Er bittet seine Mutter ihm einen neuen Namen zu geben und er wird zu Hugo. Hugo spricht, aber bleibt immer anders und unangepasst. 

Während des Lesens erahnt man, wie anstrengend Hugos andere Innenwelt sein muss, wie fremd und abstoßend ihm die Realität der "normalen" Menschen vorkommen muss. In den letzten Kapiteln und im Nachwort, in dem auch seine Mutter zu Wort kommt (ebenfalls Schriftstellerin, die bereits ein Buch über ihn verfasste), klingt deutliche Kritik an dem System und einem Gesundheitssystem durch, dass noch keine adequate Behandlung oder besser Hilfestellung für Asperger-Autismus gefunden hat. Auch das Leiden der Mutter wird deutlich - trotz ihrer absoluten Liebe und Willen zur - erfolgreichen - Förderung ihres Kindes.
Diese kurze, aber dennoch etwas anstrengend zu lesende Biographie gibt Einblicke und erzeugt Verständnis, hinterlässt aber auch ein Gefühl von Hilflosigkeit, wie diesen besonderen Menschen begegnet und geholfen werden kann, damit sie ein erfülltes Leben führen können ohne ständig gegen die Barrieren der Norm ankämpfen zu müssen. 

Hugo Horiot, Der König bin ich. Hanser, Berlin 2015.

Thursday, May 26, 2022

Chanel Cleeton - Nächstes Jahr in Havanna

Chanel Cleetons Roman Nächstes Jahr in Havanna erzählt die Geschichten zweier kubanischer Frauen, Elisa und Marisol. Elisa ist Marisols Großmutter und verlässt Kuba im Jahr 1958 mit ihren Eltern und Schwestern noch vor dem endgültigen Sturz des kubanischen Diktators Fulgencio Batista und der Machtergreifung durch Fidel und Raúl Castro, Camilo Cienfuegos und Ernesto "Che" Guevara.
2017 fliegt Marisol von Miami aus nach Kuba, um die Asche ihrer Großmutter dort beizusetzen.
In Elisas Geschichte erfahren wir viel über den Luxus, in dem die wohlhabenden Plantagenbesitzer in Kuba leben: Sie verkehrt in den besseren Kreisen, kümmert sich wenig um Politik und ist mit Kleidern und Parties beschäftigt. Das ändert sich, als sie einen jungen Mann kennenlernt, der intensiv an den politischen Veränderungen beteiligt ist - ihre Liebe muss daher geheim gehalten werden und hat keine Zukunft.
Marisol erfährt erst etwas über diesen Aspekt des Lebens ihrer Großmutter, als ihr deren Jugendfreundin alte Erinnerungsstücke und Briefe aushändigt, die sie 1958 zurückgelassen hat. Während sie nach und nach mehr darüber herausfindet, verliebt sie sich selbst in einen Mann, der wegen seiner politischen Ansichten ebenfalls verfolgt wird.

Cleeton verbindet die zwei Zeitebenen sowohl durch die Liebesgeschichten und durch die politischen Probleme. Ich weiß zu wenig über Kubas Geschichte, um zu beurteilen, wie gut diese im Roman wiedergegeben wird. Die politischen Passagen erschiedenen mir persönlich allerdings etwas verkürzend-oberflächlich - gerade so, dass man einen groben Eindruck erhält, worin die Probleme des Landes bestehen. Nachvollziehbar erschien mir die Naivität Elisas, die nur langsam begreift, was in ihrem Land geschieht, wobei ihre Liebe auf den ersten Blick zu dem Revolutionär nicht ganz glaubhaft ist. Aus ihrer Rolle heraus wäre eine stärkere Ablehnung von allem, wofür er steht, logischer gewesen. Ebenso schwierig finde ich die Liebesgeschichte Marisols, die sehr gezwungen wirkt, wobei mich an ihrer Geschichte die Naivität, mit der sie in das Land ihrer Familie reist, noch stärker gestört hat. Sie will einen Bericht über touristische Ziele und Restaurants schreiben? Das kann mit ihrem familiären Hintergrund und dem Wissen um die Vergangenheit und Gegenwart des Landes nicht ernsthaft ihr Wunsch sein! Die etwas gezwungene Zusammenführung der beiden Geschichte durch die Person des ehemaligen und von Elisa totgeglaubten Geliebten ist nachvollziehbar, damit der Plot einen Abschluss finden kann. 
Sprachlich konnte ich dem Roman nicht viel abgewinnen, viele sprachliche Wendungen wirkten plump und es gab auffällige Wiederholungen bestimmte Formulierungen. Dies mag eventuell aber der Übersetzung geschuldet sein.

Insgesamt hatte ich mir von dem Roman deutlich mehr versprochen. Kuba ist mir nicht wirklich näher ans Herz gewachsen, es kam keine Faszination mit dem Land auf, eher ein bedrückendes Gefühl. Der Spagat zwischen emotionaler Liebesgeschichte und politischer Schilderung gelingt meines Erachtens nicht - aber vielleicht ist dies auch nicht der Anspruch gewesen.

Chanel Cleeton, Nächstes Jahr in Havanna. Random House Audio 2019.

Saturday, May 21, 2022

Jules Verne - 20000 Leagues under the Sea

 Jules Vernes 20000 Meilen unter dem Meer ist ein Klassiker der Abenteuerliteratur. Die Figur des Captain Nemo und seiner Nautilus wurde tausendfach in Film, Fernsehen und anderen Medien umgesetzt.
Die Geschichte ist schnell zusammengefasst: Im Jahr 1866 tauchen Berichte über ein mysteriöses "Unterwasserwesen" auf, es gab diverse Sichtungen, aber auch Zusammenstöße. Eine amerikanische Expedition macht sich auf die Jagd. Als sie schließlich auf das Wesen treffen, stellt es sich als metallenes Unterwassergefährt heraus, dass aus der Konfrontation siegreich hervorgeht. Das verfolgende Schiff sinkt, drei Überlebende - unter ihnen der Erzähler Professor Aronnax - werden von der Nautilus aufgenommen und lernen Captain Nemo kennen. Sie reisen für mehrere Monate auf der Nautilus mit und erleben die unwahrscheinlichsten Abenteuer unter Wasser, bis ihnen schließlich die Flucht gelingt.
Auch wenn die Wissenschaft inzwischen einiges besser weiß als Jules Verne zu seiner Zeit, ist die Informationsdichte in diesem Roman doch verblüffend. An vielen Stellen referiert Nemo Zusammenhänge, Tiere werden klassifiziert und detailliert beschrieben, Mythologie erläutert... Bringt man ein entsprechendes Interesse für diese Dinge mit, so ist dies sicher ein Bonus, andernfalls hat die Story dadurch natürlich auch Längen. Der mysteriöse Nemo ist ein spannender Charakter, doch bleibt es bei den Andeutungen und Vermutungen, die Aronnax anstellt, eine Auflösung oder Erklärung fehlt, sieht man von den Seitenhieben auf den Kolonialismus ab.
Mir hat der Klassiker durchaus gefallen, aber nicht begeistert. 

Jules Verne, 20000 Leagues under the Sea. Sterling, New York 2006.

Sunday, May 08, 2022

Martha Wells - Tagebuch eines Killerbots

Mit dem Titel Tagebuch eines Killerbots und der Seitenzahl (573) hätte ich wahrscheinlich sonst nie zu Martha Wells' Buch gegriffen - wieder einmal suchte ich aber etwas für die Popsugar Reading Challenge 2022. Es sollte ein Buch sein, dass den Hugo Award gewonnen hat - so landete der Killerbot auf der Liste.

Obwohl ich Science Fiction mag, lag der Roman auch thematisch leicht außerhalb der Komfortzone mit all dem Techzeug, aber ich wurde positiv überrascht. Protagonist der Serie (denn in diesem Band werden die ersten vier Novellen/Kurzromane zusammengefasst) ist der "Killerbot", der sich sarkastisch selbst so nennt. Eigentlich ist er ein Hybrid, als Roboter konzipiert, aber mit menschlichen Komponenten ausgestattet. Gesteuert wird er computerbasiert durch verschiedene Routinen, die ihm ermöglichen als SecUnit für die Sicherheit von menschlichen Klienten zu sorgen, Panzer und integrierte Waffen tun das übrige. Doch diese SecUnit hat ihr firmenbasiertes Überwachungsmodul gehackt und sich damit von bestimmten Aspekten ihrer Programmierung abgekoppelt. Sie versieht weiterhin ihren Job, hat aber gleichzeitig mentale Freiheiten (zum Beispiel das exzessive Anschauen von Unterhaltungsserien). Natürlich birgt die fehlende Steuerung bzw. die langsam zunehmenden Empfindungen, die mit ihrer Freiheit einhergehen, neue Herausforderungen bei der Interaktion mit den menschlichen Klienten. Im Grunde ist diese SciFi-Geschichte also ein hochtechnisierte Coming-of-Age-Geschichte mit einem sehr zynischen, selbstkritischen Protagonisten.
Dazu kommt ein sich durch die vier Bände ziehender Plot von fiesen Großfirmen, die für ihren Profit vor nichts zurückschrecken. Hätte die SecUnit nicht ihren Job extrem gut erledigt, wäre die Gruppe der alternativen, selbstbestimmt lebenden Menschen um Dr. Mensah schon im ersten Band bei ihrer Forschungsmission von ihnen getötet worden. Dr. Mensah kauft deswegen die SecUnit von ihrer Betreiberfirma frei - woraufhin diese erst einmal untertaucht, weil sie nicht weiß, was sie mit ihrem plötzlich gewonnenen Leben anfangen soll. An manchen Stellen geht es zwar etwas zäher voran, viele Seiten, auf denen es darum geht verschiedene Sicherheitsvorkehrungen auszuschalten, aber es gibt auch actionreiche Szenen, die sehr anschaulich geschildert werden und gleichzeitig durch die ironischen Kommentare der kämpfenden SecUnit recht witzig sind. 

Alles in allem bin ich sehr angetan von Tagebuch eines Killerbots und kann es jedem, der Science Fiction nicht komplett von seinem Lesemenü gestrichen hat, empfehlen.

Martha Wells, Tagebuch eines Killerbots. Heyne, München 2019.

Saturday, May 07, 2022

Johannes Mario Simmel - Ein Autobus groß wie die Welt

Johannes Mario Simmel ist ein inzwischen oftmals belächelter Autor, der bei einer bestimmten Generation beliebt und - oft in Buchclub-Ausgaben - Schrankwandregale füllte. Ich kann dazu eigentlich nichts sagen, weil ich nichts von ihm gelesen habe. Bis auf eine Geschichte, die ich als Kind als Hörspiel so oft gehört habe, dass die Wiederbegegnung viel Freude gemacht hat. 

Ein Autobus groß wie die Welt (1951) erzählt die Geschichte einer Kinderverschickung (heute würde man Freizeit sagen...), bei der eine Gruppe von 19 Kindern mit einer Erzieherin und dem Busfahrer aufbrechen, um die Kinder in den Winterurlaub zu bringen. Erstes Highlight - sie nehmen wirklich ein Schaf mit in den Bus! Das hat ein Mädchen als Lamm geschenkt gekriegt und nun soll es vielleicht doch besser nicht mehr im Kinderzimmer wohnen...! Dann dramatische Szenen, als eine Lawine in der Nähe des Busses niedergeht und der Bus festsitzt. Noch viel dramatischer: Eines der Kinder hat Diphtherie und muss zu Fuß ins Krankenhaus gebracht werden, was schließlich dazu führt, dass die Kinder allein im Bus zurückbleiben... 

Die kurze Geschichte hat leicht stereotype Charaktere, was vielleicht nicht anders zu erwarten ist: Der Schlaumeier mit den guten Ideen, der Unruhestifter, der egoistische Dicke usw.  Ungewöhnlich ist, dass die Erwachsenen die Kinder in den Entscheidungsprozess mit einbeziehen und sogar abstimmen lassen. Die Kinder verinnerlichen dies und treffen gemeinsam sinnvolle Entscheidungen. Das ist vielleicht Lernen mit dem Holzhammer, aber dennoch ist es alles in allem eine anrührende und vor allem spannende Geschichte. Mir hat sie als Kind gut gefallen und sie gefällt mir auch heute noch. 


Martin Walker - Grand Prix

In Martin Walkers Serie um Bruno, Chef de Police, geht es selten hauptsächlich um den Kriminalfall, es sind eigentlich idyllische Romangemälde über eine fiktive französische Kleinstadt mit liebenswerten Charakteren und Berichten von gutem Essen und Wein. Es sind Wohlfühlbücher und ich glaube, das macht auch den Erfolg der Serie aus. Auch ich lese/höre sie schließlich deswegen. Leider scheint es auch dafür Grenzen zu geben, denn Grand Prix war für mich ein echter Tiefpunkt der Reihe. 

Es geht um Autos - zunächst muss Bruno als Beifahrer bei einer Oldtimer-Rallye einspringen. Die Schilderung der Straßenbeläge und Kurvenlage war schon mäßig spannend für mich. Persönliches Desinteresse, zugegeben. Dann kommt nach und nach heraus, dass sich der ganze Fall (inklusive zweier Morde) um die Suche nach einem verschwundenen Oldtimer (einem Bugatti 57) dreht. Für mich trotz des Wertes des Fahrzeugs ein eher sehr schwaches Mordmotiv. Nebenbei geht es auch mal wieder um ein bis zwei Jugendliche, die Bruno kraft seiner Person persönlich rettet und die sonst natürlich Berufskriminelle geworden wären. Achja, und die übliche Frauengeschichte - eigentlich heult er Isabelle hinterher, die auch einen plot-technisch völlig unverständlichen Auftritt hat, aber verliebt sich selbstverständlich neu und selbstverständlich auch wieder in eine Frau, die St. Denis und ihn tags drauf wieder verlässt. Am Plot kann ich nicht viel Überzeugendes, nur viel Sentimental-Auto-Schwärmerisches finden, die Auflösung hat mich wenig interessiert. 

Natürlich werde ich dennoch nach St. Denis zu Bruno zurückkehren, aber dieser Band war kein Treffer.

Martin Walker, Grand Prix. Diogenes 2017. 

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