Friday, February 25, 2022

Julian Barnes - Die einzige Geschichte

In einem Londoner Vorort der 60er Jahre trifft der neunzehnjährige Paul im Tennisclub, zu dem ihn seine Eltern geschickt habe, auf die 48jährige Susan Macleod. Diese lebt in einer schwierigen Ehe, hat zwei Töchter und ist selbstverständlich ganz anders als alle Frauen, denen Paul bisher begegnet ist. Sie verlieben sich ineinander, eine Weile geht dies sogar halbwegs gut, obwohl Paul studiert und Susan bei ihrem Mann bleibt. Doch dann beschließen die beiden, auszubrechen und ziehen in eine gemeinsame Wohnung in London. Doch was das "Happy ever after" für die beiden sein sollte, bricht schnell auseinander, Paul kann Susan nicht das geben, was sie braucht, sie bleibt unzufrieden und unglücklich. Der Alkohol erledigt den Rest. 

Paul erzählt von seiner einen Geschichte - der einen, die erzählenswert ist - in drei Teilen mit wechselnden Erzählperspektiven: Das rosarote Verliebtsein, die Krise und die Resignation - in ihrer Abfolge recht desillusionierende, traurige Schritte. Natürlich ist das ursprüngliche Setting, der unerfahrene junge Mann mit der viel älteren Frau, der in ihrem Leben selten Gutes widerfahren ist, schon auf das Scheitern angelegt und der Erzähler macht von Beginn an keinen Hehl daraus, dass diese Geschichte nicht gut ausgegangen ist. So nehmen einen die beiden Protagonisten zwar mit auf eine sehr intensive emotionale Reise, aber im Verlauf wird diese auch zur Anstrengung, vielleicht sogar zur Belastung. Man möchte, dass Paul mehr versteht, dass beide besser und mehr miteinander sprechen, offener sind, man möchte, dass Susan sich nicht aufgibt. Interessant ist noch der Aspekt, dass der Erzähler, der sich im Alter an diese Liebesgeschichte erinnert, sich darüber bewusst ist, wie subjektiv seine Erinnerungen an all dies sind. So relativiert sich alles - vielleicht bis auf die Bitterkeit, die in diesem Roman kontinuierlich mitschwingt.
Die einzige Geschichte ist stilistisch interessant und gut konstruiert - nicht ohne Grund gewann Julian Barnes den Booker Prize (2011). Dennoch habe ich es nicht mit besonderer Begeisterung gelesen.

Julian Barnes, Die einzige Geschichte. Argon 2019.

Thursday, February 17, 2022

Hakan Nesser - Der Verein der Linkshänder

Gern hätte ich Hakan Nessers Roman Der Verein der Linkshänder mehr gemocht. Ein toller Titel, Van Veeteren und Barbarotti ermitteln gemeinsam, eine verstrickte Geschichte, die Vergangenheit und Gegenwart verknüpft... - das sollte mich begeistern. Ich mag Nessers Erzählstil, ich mag seine Charaktere, ich mag seinen Zynismus, der immer wieder durchblitzt. Und die Geschichte der Linkshänder begann vielversprechend, dazu kommt dann der alte Mordfall, den Van Veeteren doch nicht wie gedacht aufgeklärt hat, wie die neu entdeckte Leiche des vermeintlichen Täters beweist. Andere Beteiligte kommen in Rückblenden, Briefen und Tagebüchern zu Wort. Dann fügt sich der Erzählstrang um Barbarotti ein. Das alles zieht sich auf über 600 Seiten in einem kontinuierlichen Wechsel und irgendwann fragt man sich doch, ob es auch mal vorwärts geht mit den Ermittlungen, die Ergebnisse kommen nur schleppend herein, obwohl der Täter nun schon deutlich erkennbar wurde - als der letzte, der noch nicht erwähnt und auseinander genommen wurde. Nicht alle Charaktere waren für mich glaubwürdig und ihre Zerrissenheit wirkte für mich zum Teil aufgesetzt. Spannung erzeugte das schlussendlich nicht mehr und ich habe lange gebraucht, um den Roman zuende zu lesen. Wäre es kein Hakan Nesser gewesen, der selbst in den schlechteren seiner Werke noch ein guter Autor bleibt, hätte ich es vielleicht abgebrochen. 

Hakan Nesser, Der Verein der Linkshänder. btb, München 2019.

Sunday, February 06, 2022

Dorothy Parker - New Yorker Geschichten

Dorothy Parker (1893-1967) war eine schillernde Persönlichkeit und galt als eine der bedeutendsten Autorinnen ihrer Zeit. Sie schrieb Gedichte, Kurzgeschichten, Theaterstücke und Drehbücher. Sie gehörte dem Literaturzirkel Algonquin Round Table an, der sich in den 1920er Jahren im New Yorker Hotel Algonquin traf. 

Es scheint nicht allzu viele Ausgaben ihrer Werke in deutscher Übersetzung zu geben, was einerseits angesichts ihrer Bedeutung in der US-amerikanischen Literaturszene verwundert, andererseits sind ihre Geschichten - so mein persönlicher Eindruck - sehr von der amerikanischen Gesellschaft ihrer Zeit geprägt, was vielleicht erklärt, warum sie nicht zeitnah übersetzt wurden. 
Dabei sind diese Kurzgeschichten wirklich gut! Die meisten ihrer Erzählerinnen sind Frauen unterschiedlicher Gesellschaftsschichten, häufig werden ihre Beziehungen zu Männern, zu anderen Frauen und die New Yorker Gesellschaft karikiert. Dabei sind der Tonfall und der Erzählstil von Geschichte zu Geschichte sehr unterschiedlich (was Elke Heidenreich in dieser Lesung ausgesprochen trefflich umsetzt). Da wäre beispielsweise die Dame, die von einem Herren zum Tanz aufgefordert wird, diesen auch annimmt und dem Herren beständig sagt, wie gern sie doch mit ihm tanzt - während der Leser mit voller Wucht ihren Gedankenstrom zu hören bekommt, wie schrecklich dieser Mann ist, dass er nicht tanzen kann und dass sie ihn absolut nicht leiden kann. Oder die Geschichte, in der man nur den endlosen Monolog einer "Freundin" beim Krankenbesuch zu hören bekommt, die nur scheinbar die Kranke bemitleidet, sie und ihre Gefühle aber mit unbarmherzigem Redestrom niedermacht, bis diese gänzlich aus der Fassung gerät. Alle Geschichten zeichnet eine äußerst gewitzte und zynische Sprache aus, so dass man kaum glauben mag, dass sie aus den 30er und 40er Jahren stammen. Ihre Sichtweise auf das Verhalten der New Yoker und der Frauen im Allgemeinen ist vielschichtig, reflektiert und für die damalige Zeit sicher modern und emanzipiert.

Dorothy Parker, New Yorker Geschichten. Random House Audio 2005.