Saturday, June 30, 2018

Jean-Christophe Rufin - Das rote Halsband

Der kurze Roman Das rote Halsband von Jean-Christophe Rufinspielt in einer kleinen französischen Stadt 1919. Der erste Weltkrieg ist vorbei und Jacques Morlac wartet im Gefängnis auf das Urteil seines Richters Lantier de Grez. Morlac hat die Obrigkeit vor den Kopf gestoßen, als er seinen Tapferkeitsorden lieber seinem Hund anheftete als ihn selbst zu tragen. Der treue Hund, der Morlac durch die Kriegsjahre gefolgt ist, bellt sich nun vor dem Gefängnis die Seele aus dem Leib. Im Verhör erfahren Richter und Leser nach und nach die Hintergründe der Geschichte, die laut Autor auf einer wahren Begebenheit beruhen.

Der Klappentext spricht von einem "herzerwärmende[n] Roman über Treue, Mut und Liebe in schweren Zeiten". Natürlich entwickelt die Geschichte eine gewisse Dynamik, man möchte wissen, was Morlac angetrieben hat, warum seine Haltung dem Hund gegenüber ablehnend und achtungsvoll, aber nicht liebend ist. Natürlich spielen Treue, Mut und Liebe dabei eine Rolle. Dennoch schaffte es Das rote Halsband selbst nicht, große Gefühle auszulösen, der Funke sprang nicht recht über, vielleicht auch wegen des fremden Settings in einer vergangenen Zeit, deren politische Beweggründe sich heute anders darstellen.

Jean-Christophe Rufin, Das rote Halsband. Bertelsmann, Gütersloh 2014.

Thursday, June 28, 2018

Jan Costin Wagner - Sakari lernt, durch Wände zu gehen

Die beiden Vorgänger (#4 Das Licht in einem dunklen Haus, 2011, und #5 Tage des letzten Schnees, 2014) von Jan Costin Wagners Reihe um den stillen Ermittler Kimmo Joentaa waren spannend, sprachlich interessant und erzählten ungewöhnliche Geschichten aus ungewöhnlichen Perspektiven.
In der Fortsetzung Sakari lernt, durch Wände zu gehen ist Kimmo plötzlich Vater einer Tochter, die so heißt wie seine verstorbene Frau aus Band 1, Sanna. Im Haus am See scheint er seine Familienidylle gefunden zu haben, auch wenn unklar bleibt, wo die Mutter der Kleinen ist.
Die Idylle wird durchbrochen von Kimmos Kollegen Petri, der Rat bei ihm sucht. Bei einem Einsatz in der Innenstadt von Turku hat er einen jungen Mann erschossen, der nackt mit einem Messer in einem Brunnen stand. Die Situation und der Hintergrund des jungen Mannes wirft viele Fragen auf, denen sich Petri zusammen mit Kimmo stellen will. Dabei tauchen sie ein in gleich zwei von Tragödien geplagten Familien und unter der Lupe der Ermittlung werden die verschiedenen menschlichen Reaktionen auf undenkbare, undenkbar schreckliche Ereignisse sichtbar.
Erzählt wird aus unterschiedlichen Perspektiven der Beteiligten, der Autor gibt allen eine Stimme. In der Hörbuchfassung führt dies an manchen Stellen zu Verständnisschwierigkeiten, eventuell ist zum Teil auch schlecht gekürzt worden. Denn obwohl der Roman eine ähnliche Atmosphäre hat, wie seine Vorgänger, sprang der Funke der Geschichte für mich nicht so recht über. Vieles blieb in der Luft, war psychologisch angerissen, aber nicht zufriedenstellend erklärt und in keinen ordentlichen Gesamtzusammenhang gebracht. Dennoch endet die Geschichte auf einer hoffnungsvollen Note, Menschen mit Wunden und Narben, die sich zusammenschließen, um dennoch in die Zukunft zu blicken und einen Neuanfang - symbolisiert durch das Baumhaus, dass sie gemeinsam wieder aufbauen - wagen.

Jan Costin Wagner, Sakari lernt, durch Wände zu gehen. Argon 2017.

Sunday, June 24, 2018

E.B. White - Charlotte's Web

This is the story of a pig named Wilbur and his friends on a American farm in the 1950s. Published in 1952, Charlotte's Web by E.B. White (1899-11985) has been a children's classic for quite some time. It's not that popular in Germany so it's just now that I read it.
It's a cute story and Wilbur is a very friendly, terrific and radiant protagonist. It depicts a farm life long lost but its topics - life and death, becoming of age and friendship - remain.
The animal characters are lovable, I especially loved Charlotte, the spider, and I think it's great that an animal that isn't always loved plays this important, selfless role in Wilbur's life. Loved the language too. And I want a go on that swing...

One quote:
Why did you do all this for me?' he asked. 'I don't deserve it. I've never done anything for you.' 'You have been my friend,' replied Charlotte. 'That in itself is a tremendous thing.

And the illustrations by Garth Williams (1912-1996) are lovely too.

E.B. White, Charlotte's Web. Harper Collings 2003. (Nice hardcover edition...)

Tuesday, June 19, 2018

Anna Regeniter - Ein Jahr in London


Ein Jahr in London von Anna Regeniter berichtet genau davon - einem in London verlebten Jahr der Autorin. Sie schildert die Schwierigkeiten, die ein Umzug in diese Großstadt mit sich bringt, bringt Anekdoten über die schrägen Londoner (die meistens auch von anderswo stammen) und streit einige persönliche berufliche und private Erfahrungen mit ein.
Je nachdem, aus welcher Perspektive man dies liest, ist es witzig bis unterhaltsam, informativ nicht unbedingt. So ist es vielleicht als Einstimmung auf einen Besuch (Dauer egal) in London geeignet oder zum Reminiszieren über vergangene Aufenthalte und eigene Erfahrungen mit den Briten. Tiefschürfenden Erkenntnisse darf man nicht erwarten, auch keine literarischen Höhenflüge, die Autorin berichtet eher schlicht, aber so ist es ein kleiner netter Londonausflug.

Anna Regeniter. Ein Jahr in London. Reise in den Alltag. Herder, Freiburg 2010.

Saturday, June 16, 2018

Michael Robotham - Dein Wille geschehe

Im dritten Band Dein Wille geschehe von Michael Robothams Reihe um Joe O’Loughlin und Vincent Ruiz steht wieder der Psychologe im Mittelpunkt des Geschehens. Eigentlich will Joe es viel ruhiger angehen lassen, er ist mit seiner Familie nach Bath gezogen und hat nur einen kleinen Lehrauftrag an der Uni. Der Zufall will es, dass er zur falschen Zeit am falschen Ort ist und bei einer Selbstmordsituation zu Hilfe gerufen wird: Eine nackte Frau steht auf einer Brücke. Joe versucht, einen Kontakt herzustellen, stellt dabei fest, dass sie mit jemandem telefoniert - kurz bevor sie sich in die Tiefe stürzt, ohne dass er sie aufhalten kann.
Sein Verdacht, dass es sich um keinen normalen Selbstmord handelt, wird bestätigt, als die Tochter der Toten sich an ihn wendet und behauptet, ihre Mutter hätte sich niemals umgebracht und hätte außerdem Höhenangst gehabt.
Schnell wird klar, dass hier ein Mörder am Werk ist, der mit den Waffen der Manipulation und mit großem Wissen über die menschliche Psyche Frauen in den Tod treibt. Denn es bleibt nicht bei dem einen Opfer.
Gemeinsam mit Ruiz und den zuständigen Ermittler stellt Joe Zusammenhänge her und kommt dem Täter auf die Spur - leider wird der Täter aber auch auf Joe und seine Familie aufmerksam...
Parallel zur Geschichte des bedrohlichen Täters wird klar, dass Joes Ehe ebenfalls auf dem Prüfstein steht, seine persönliche Betroffenheit gibt dem Fall zusätzliche Dramatik.
Es ist der erste Band der Reihe, den ich als Audiobook gehört habe. Es geschieht nicht oft, aber hier war es schwer zu ertragen, die Stimme des Täters in all seinem Enthusiasmus, seinem Wahn und seiner perfiden Intelligenz - bravourös umgesetzt von Frank Arnold - anzuhören. Nichts für schwache Nerven und nicht unbedingt kurz vor dem Einschlafen anzuhören.
Insgesamt ist Dein Wille geschehe ein spannender Fall, Robotham versteht es, seinen Plot gut aufzubauen, Wendungen gut zu inszenieren und seinen Charakteren Glaubhaftigkeit und Tiefe zu geben.

Michael Robotham, Dein Wille geschehe. Audiobuch 2011.

Friday, June 15, 2018

Tuesday, June 05, 2018

Dörte Hansen - Altes Land

Das Alte Land ist ein Gebiet südlich der Elbe in Hamburg und in Niedersachsen, es ist Teil der Elbmarsch und als Obstanbaugebiet bekannt. Es ist dieser Landstrich, den Dörte Hansen als Handlungsort für ihren Roman ausgewählt hat. Im Zentrum der Geschichte ist die Familie von Hildegard von Kamcke und ihrer Töchter und Enkelinnen. Hildegard wird als Flüchtling mit ihrer Tochter Vera im Alten Land auf einem Hof aufgenommen und obwohl sie sich mit der Bäuerin nicht verträgt, heiratet sie deren Sohn. Doch lange hält es sie nicht dort, sie verlässt Mann, Vera und den Hof, die von nun an eine Einheit bilden. 
Parallel dazu erfahren wir die Geschichte von Anne, Hildegards Enkelin, die mit ihrem kleinen Sohn Leon ihren Mann verlässt, als dieser im hippen Hamburg plötzlich eine andere hat. Zu ihrer Mutter hat sie ein gestörtes Verhältnis, aber die Tante Vera - inzwischen allein - nimmt sie in dem alten Hof auf. 
In kleinen Nebenanekdoten kommen noch andere Bewohner des Alten Landes zu Wort, die Alteingesessenen, die Einsamen, die Neuankömmlinge und Zugezogenen, die verliebt sind in ihre Vision des Landlebens, die aber an der Realität scheitern müssen. 
Sensibel schildert die Autorin die Charaktere, gibt aber vor allem der Einsamkeit der Protagonistinnen, ihrem Suchen nach Halt, viel Raum. Sie versucht dabei nicht, alles psychologisierend zu erklären, gibt aber Denkanstöße in die Richtung der Flüchtlingsfamiliengeschichte. Das Harte und das Hartnäckige und die Verletzlichkeit steckt in beiden Charakteren und beeindrucken in ihrer Schilderung. Man bekommt den Eindruck, diese Frauen, aber auch einige der Nachbarn, schon gut zu kennen, man könnte hinfahren und sie herzlich begrüßen. In all ihren Unzulänglichkeiten kommt man nicht umhin, Bewunderung für sie zu empfinden, wie sie beharrlich überleben trotz all der Steine, die ihnen das Leben in den Weg legt. Die Botschaft dahinter ist schlicht aber dennoch bedeutsam, Familie hilft, aber man findet sie nicht immer dort, wo man sie erwartet. Schreibstil/Sprache,  Geschichte, Setting, großartige Charaktere - hier passt im Grunde alles harmonisch zusammen - ein großer Wurf für einen ersten Roman. 

Dörte Hansen, Altes Land. Knaus, München 2015.

Arnaldur Indridason - Frostnacht


In dieser gekürzten Audiobuchfassung wird man direkt hineingeworfen in einen kaltblütigen Mord: Ein kleiner Junge isländisch-thailändischer Abstammung wird erstochen auf dem Gehweg nicht weit entfernt von seinem Zuhause aufgefunden.

Erlendur, Sigurður Óli und Elinborg ermitteln in diesem siebten Fall in dem Umfeld des Jungen: Rassistische Lehrer, Jungenbanden und etwas kompliziertere Familienzusammenhänge geraten in ihr Blickfeld. Die Tatwaffe - ein Schnitzmesser aus der Schule - wird gefunden, aber wer hat es gestohlen, wer hat es benutzt?
Systematisch werden die Spuren weiterverfolgt, gleichzeitig erhält Erlendur seltsame Anrufe von jemandem, die offensichtlich etwas weiß, aber zögert, zu sprechen... 

Es ist ein kleiner, aber böser Fall, der - wie üblich bei Indridason - bestimmte Aspekte isländischer Gesellschaft beleuchtet und mit der Skepsis der Inselbewohner gegenüber Neuankömmlingen traf und trifft der Autor sicher sowohl 2005 im Erscheinungsjahr als auch heute noch einen Nerv. 

Arnaldur Indridason, Frostnacht. Lübbe Audio 2008.

Sunday, June 03, 2018