Saturday, October 27, 2018

Julie Maroh - Blau ist eine warme Farbe

Julie Maroh erzählt die Geschichte einer lesbischen Liebe im Frankreich der 90er Jahre. Eine Zufallsbegegnung mit einer jungen Frau mit blauen Haaren trifft die 15jährige Clementine tief: Als Tochter sehr konservativer Eltern und aufgewachsen auf einem Dorf kann sie mit den Gefühlen, die sie plötzlich für eine Frau empfindet nur sehr schlecht umgehen. Doch auch Emma, die Frau mit den blauen Haaren, kämpft mit dem, was sie für Clementine empfindet, und nur langsam kommen die beiden zusammen. Immerhin noch rechtzeitig, um zu sehen, welche Tiefe ihre Liebe füreinander hat, bevor eine Katastrophe sie wieder trennt...
Es ist eine wunderbare Liebesgeschichte, die Maroh gezeichnet hat. Durch die Problematik der Diskriminierung Homosexueller im Frankreich der Gegenwart erhält der Roman zusätzliche Tiefe und Bedeutung. Die sensiblen, wunderschönen Bilder tragen einen wesentlichen Teil zur Wirkung bei - man möchte, dass die beiden Frauen glücklich miteinander sind, man möchte das symbolische Blau dauerhaft leuchten sehen.
Die Graphic Novel (in Deutschland im Splitter Verlag erschienen) hat zu Recht zahlreiche Preise gewonnen. Die Verfilmung von Abdellatif Kechiche gewann 2013 in Cannes die goldene Palme und stieß eine intensive Diskussion an - vor allem auch wegen der gleichzeitigen Diskussion um gleichgeschichtliche Ehe in Frankreich. Die Autorin Julie Maroh sieht ihre Comicvorlage nicht angemessen berücksichtigt in der Verfilmung, vor allem der Fokus auf intensive Sexszenen der Protagonistinnen (und deren Unglaubwürdigkeit, die auf diesbezügliche heterosexuelle Fantasien basiere) stört sie. Im Buch gibt sie diesen Szenen nur vier von 160 Seiten.

Julie Maroh, Blau ist eine warme Farbe. Splitter, Bielefeld 2013.

Nachtrag nach Anschauen der oben genannten Verfilmung: Der Film wirkte auf mich verstörend, nicht besonders wegen der Sexszenen, wenngleich diese in der Tat surreal intensiv umgesetzt und in der Fokus gerückt wurden, sondern vor allem, weil die Charaktere in einem ganz anderen Licht gezeigt wurden, die Story eine andere war... außer Titel und einem groben Bezug zur Liebesgeschichte hat der Film nicht viel mit Marohs sensibler Geschichte zu tun. Schade eigentlich.

Friday, October 26, 2018

Christoph Türcke - Lehrerdämmerung

Christoph Türcke, Professor der Philosophie, tätig in Leipzig, beschreibt in seinem Buch Lehrerdämmerung die philosophischen Zusammenhänge und ideellen Grundlagen für die aktuelle Bildungsausrichtung an deutschen Schulen. Seit vielen Jahren herrscht dort die Kompetenzorientierung vor, es sollen weniger konkrete (Lern-)Inhalte als vielmehr Strategien vermittelt werden. Man liest beispielsweise nicht mehr des konkreten Themas wegen, sondern überprüft beständig durch inhaltliche Fragen die Lesekompetenz. Individuelle Förderung, Binnendifferenzierung, Dezentralisierung usw. sind weitere Begrifflichkeiten.
Türckes Buch zielt dabei nicht darauf ab, was diese Form der "Lernkultur" für Konsequenzen für die Schülerinnen und Schüler hat, sondern betrachtet die Rolle des Lehrers in diesem System. Er wird in seinen Augen degradiert vom "Zeiger" und Eröffner von neuem Wissen und interessantem Lernstoff hin zu einem bloßen Bereitsteller von Arbeitsmaterial und zum Lernassistenten. Die Schülerschaft erarbeitet sich alles selbst mit Hilfe von Arbeitsblättern, der Lehrer nimmt sich zurück und steht nur helfend zur Seite, sofern dies gewünscht ist. Damit wird die Chance vertan, durch mit Begeisterung und Hingabe (frontal durch Lehrervortrag - böse!) vorgestellte Sachverhalte für die Schülerschaft attraktiv zu machen, sodass ihr Lernwille überhaupt geweckt wird.
Natürlich wird auch das Thema Inklusion angerissen: Er erläutert die Herkunft des Begriffes, die  Entstehung des politischen Drucks, die Schule des gemeinsamen Lernens einzuführen, und gibt einen kurzen Abriss der Problematik des Status Quo. Absolut einleuchtend für Lehrende in dem aktuellen Zustand der Inklusion an Schulen ist, dass dieses "Einschließen" aller in einen Raum plus die Individualisierung des Lernprozesses, bei dem jeder nach seinem Stand lernt und arbeitet, besonders dazu beiträgt, den Schwächeren (ergo den Inklusionskindern) vor Augen zu führen, dass sie nie das erreichen können, was andere ihnen voraus haben. Kinder vergleichen sich ständig mit anderen, Enttäuschung und Frustration sind also in Zeiten der Inklusion in dieser Form vorprogrammiert.
Man könnte jetzt noch viele Aspekte aus Türckes Buch anführen, die in sprachlich und rhetorisch ansprechender Form, Zusammenhänge aufzeigen. Doch was ist seine Botschaft?
Lehrer sollen sich dagegen auflehnen, zu bloßen Lernbegleitern degradiert zu werden, und statt dessen einen eigenen Berufsethos entwickeln... Wie der ganz konkret aussehen könnte, bleibt offen.
So schwanke ich in meiner Wahrnehmung dieses Buchs zwischen Zustimmung über fehlgeleitete Entwicklungen, zielloses Kompetenzgeschwafel und scheiternde Inklusion und gleichzeitiger Skepsis, ob in der Refokussierung auf die starke, und ja, auch autoritäre Lehrperson im Mittelpunkt wirklich die Lösung allen Übels liegt.

Christoph Türcke, Lehrerdämmerung. C.H. Beck, München 2016.




Tuesday, October 23, 2018

Michael Crichton - Timeline

Zugegeben, Timeline von Michael Crichton ist ein wenig in die Jahre gekommen: 1999 erschienen, Quantentheorie mag nicht mehr ganz so neu sein wie damals, wobei ich dennoch bezweifle, dass der theoretische Background in dem Roman damals mehr Sinn gemacht hat als heute. Auf deren Basis entwickelt eine zwielichtige, profitgierige Firma eine Maschine, die Zeitreisen ermöglicht, ich erspare mir die Details.

Jedenfalls strandet ein Professor, der eigentlich ganz klassisch mit archäologischen Ausgrabungen in der französischen Dordogne beschäftigt ist, plötzlich im 14. Jahrhunderts während des Hundertjährigen Krieges - und seine Studenten werden hinterhergeschickt, um ihn zu retten. Der Folgeplot ist eigentlich klar: Mit der Zeitreiserei bzw. den Maschinen geht einiges schief, die Protagonisten müssen sich durchs wilde Mittelalter schlagen, während die Zurückgebliebenen in der Jetztzeit versuchen, eine technische Lösung zu finden.

Wenn man die Story als eine Art mittelalterlichen Abenteuerroman mit neuzeitlichen Protagonisten liest, dann geht es eigentlich, Oliver Rohrbeck hat auch mit seiner Lesung das beste daraus gemacht. Die eigentliche Zeitreiseproblematik des skrupellosen Geschäftsmannes, der aus der neuen Technologie trotz offensichtlicher Gefahren nur Kapital schlagen will, blieb dabei vollkommen blass und nebensächlich.

Michael Crichton, Timeline. RandomHouse Audio 2012.

Friday, October 19, 2018

Nicci French - Blauer Montag

Frieda Klein ist eine ungewöhnliche Frau: Sie arbeitet als Therapeutin in London, führt aber ein sehr zurückgezogenes Leben, meidet in ihrem Privatleben nahezu allzu enge Beziehungen. Nachts wandert sie von Zeit zu Zeit durch die leeren Londoner Straßen, die ihr so am liebsten sind. Als der fünfjährige Matthew verschwindet, fällt Frieda auf, wie sehr der Junge dem Wunschbild entspricht, den ein Patient ihr gegenüber geäußert hat. Er wünscht sich sehr einen eigenen Sohn... kann es sein, dass er seine Sehnsucht nun auf diesem kriminellen Weg erfüllt hat? Ohne konkrete Beweise zu haben, wendet Frieda sich an den ermittelnden Inspector Karlsson. Der will sie erst abwimmeln, doch als außerdem noch verblüffende Zusammenhänge zu einem lange zurückliegenden Entführungsfall eines kleinen Mädchens auftauchen, beginnen die beiden eine Zusammenarbeit.

Der Fall selbst hat zwar einige interessante Wendungen, ist aber alles in allem recht vorhersehbar und nicht sonderlich außergewöhnlich. Auf der Plusseite steht die Figur der Frieda Klein, von deren Hintergrund und Lebensgeschichte man zwar noch nicht allzu viel erfährt, aber die in ihrer Vielschichtigkeit fasziniert. Bei den Nebencharakteren gefällt mir besonders der ukrainische Bauarbeiter Josef, der Frieda als ungewöhnlicher Freund und Gehilfe buchstäblich vor die Füße fällt, wobei unklar bleibt, warum sie ihm als so zurückhaltende Person gleich soviel Vertrauen schenkt.
Insgesamt hat Nicci Frenchs Ermittlerin mit dem Londoner Setting Potenzial. Nach Blauer Montag auf zum eisigen Dienstag...

Nicci French, Blauer Montag. Hörverlag 2012. 

 

Tuesday, October 16, 2018

Andy Weir – Der Marsianer


Der Marsianer von Andy Weir kann als klassischer Science Fiction Roman bezeichnet werden. Eine der bemannten Mars-Missionen geht schief, so dass ein Besatzungsmitglied totgeglaubt zurückgelassen wird. Doch er ist nicht an seinen Verletzungen gestorben und kämpft fortan um sein Überleben auf dem feindlichen Planeten.
 Hauptsächlich durch seine Logbucheintragungen erlebt der Leser, mit welchen Widrigkeiten er zu kämpfen hat und beobachtet seine Problemlösungen, die oft detailreich mit Zahlen und Berechnungen belegt werden. Er ist praktischerweise Biologe und Techniker, so dass komplexe Reparaturen und der Kartoffelanbau gleichermaßen gelingen. Zu diesem intensiven inneren Monolog der Logbücher des Marsianers kommen Rückblenden der Erlebnisse der Crew und Schilderungen der Rettungsplanung auf der Erde hinzu. Dabei schafft Andy Weir interessante und sehr entschlossene Charaktere, die sich unverrückbar für ihre Ziele einsetzen. Selbstzweifel, Verzweiflung, Trauer, Pessimismus, Scheitern – all das hat keinen Platz in seiner Geschichte. Die Rückschläge – sowohl auf dem Mars als auch auf der Erde – dienen nur dem Spannungsaufbau, denn immer wird ein neuer, zum Teil natürlich riskanter Weg gefunden, die neuen Hindernisse zu überwinden. Hier liegt vielleicht auch die Schwäche des Romans: Besonders der Marsianer ist als Protagonist „too good too be true“, nahezu unglaubhaft optimistisch, ein Stehaufmännchen, das höchstens einmal laut flucht, um dann wieder in konstruktiven Aktivismus zu verfallen. Auch scheinen ihm die zahlreichen Entbehrungen (Mangelernährung, Marsatmosphäre, harte physische Arbeit, soziale Deprivation) nichts anhaben zu können, er ist fröhlich und ärgert sich maximal über schlechte Discomusik. Natürlich will  niemand über eine niedergeschlagenen, jammernden Astronauten lesen, aber hier wurde eine Chance vertan, dem Protagonisten charakterliche Tiefe zu verleihen. Ohne die Verfilmung bisher gesehen zu haben, würde ich vermuten, dass der Stoff zu einem wahrhaft amerikanischen Heldenepos herhalten musste – dies ist im Roman deutlich so angelegt. Einige der detailreichen Schilderungen über die naturwissenschaftlichen Gegebenheiten (chemisch, biologisch, physikalisch,…) sind für den weniger daran interessierten Leser etwas langatmig, aber die Genauigkeit in diesem Bereich ist sicher beabsichtigt; wie sehr diese Beschreibungen der Realität entsprechen, also ob sie wissenschaftlich korrekt sind, vermag ich nicht zu beurteilen.
Insgesamt war Der Marsianer schon ein interessantes und spannendes Leseabenteuer, gute Science Fiction ist insgesamt selten, da mag man über kleinere Schwächen hinwegsehen.

Andy Weir, Der Marsianer. Random House 2014.

Monday, October 15, 2018

E.O. Chirovici - Das Buch der Spiegel


Das Buch der Spiegel  von E.O. Chirovici gliedert sich in drei Teile mit jeweils unterschiedlichen Erzählern. Aus der Sicht eines Verlagsagenten, eines Journalisten und eines ehemaligen Polizisten wird ein alter Mord wieder aufgerollt.

Professor Wieder ist im Jahr 1988 ermordet worden und man hat den Täter nie ermittelt. Einer der Verdächtigen, Richard Flynn, schreibt kurz vor seinem Tod ein Manuskript, das angeblich die Wahrheit enthüllen soll und dessen erste Kapitel er an den Verlagsagenten Peter Katz sendet – der liest das Fragment, entwickelt großes Interesse, aber als er sich an Flynn wenden will, ist dieser schon an Krebs verstorben, der Rest des Manuskripts fehlt. Also setzt Katz einen Journalisten, John Keller, auf die Story an (Teil 2), der mit vielen Beteiligten spricht, aber schließlich auch nicht weiterkommt. Durch die Fragen des Journalisten angeregt, beschließt der ehemals in dem Mord ermittelnde und inzwischen pensionierte Polizist Roy Freeman sich ebenfalls noch einmal mit dem Fall zu beschäftigen. Erst ihm gelingt es, in dem Labyrinth der möglichen, subjektiven Wahrheiten den Täter zu ermitteln.

Der Autor spielt damit, wie unterschiedlich Menschen ein Geschehen wahrnehmen, wie die Erinnerung Dinge verändern, verzerren und sogar neu erzeugen kann. Der Begriff der Wahrheit verschwimmt dabei, wird relativ und sogar letzten Endes unwichtig.  Dieses Spiel, das zu Beginn und im mittleren Teil des Romans noch reizvoll und interessant erscheint, relativiert leider auch das Interesse am Ausgang des Falles (wenn man denn von einem Fall sprechen mag), zumal im Verlauf klar wird, dass die Frage von Schuld und Gerechtigkeit ungeklärt bleiben wird. Bei all den subjektiven Sichtweisen bleibt man letztlich auch verunsichert zurück, ob dies denn das wahre Ende der Geschichte sein soll oder ob sich vielleicht nicht doch noch eine weitere verschobene Perspektive auftun könnte. Dies war vermutlich auch die Intention des Romans, lässt aber den Leser etwas unbefriedigt zurück…

E.O. Chirovici , Das Buch der Spiegel. Goldmann, München 2017.

Tuesday, October 09, 2018

Jojo Moyes - Ein ganz neues Leben

Die Autorin Jojo Moyes behauptet selbst, sie habe nie einen zweiten Teil zu Ein ganzes halbes Jahr verfassen wollen, aber auch sie habe wissen wollen, wie es mit Lou nach dem dramatischen Verlust von Will weitergeht und deswegen den Nachfolger geschrieben. Inzwischen ist bereits ein dritter Band erschienen.

In Ein ganz neues Leben müssen wir feststellen, dass Lou - trotz aller Bemühungen von Will, ihre gute Seiten herauszuarbeiten - immer noch etwas unbedarft ist, was sie eigentlich mit ihrem Leben anfangen soll. So wiederholt sich in groben Zügen, was sie schon im ersten Band "falsch" gemacht hat: Sie arbeitet in einem miesen Job, hat wenig Lebensfreude, wenig Freunde und kommt nur dann in Schwung, wenn sie das Gefühl hat, andere retten zu müssen. Dabei setzt sich auch die rührselig-dramatische Erzählweise fort, nur selten schimmert ein wenig Selbstironie durch. Dabei entwirft die Autorin durchaus interessante Nebencharaktere, wie die Teenagerin Lily oder Sanitäter-Sam. Auch Lou's sehr britische Familienmitglieder erhalten den Raum, den sie verdienen, und tragen dazu bei, dass der Roman noch eine Spur Humor enthalten darf. Ansonsten ist alles ziemlich tragisch-traurig-dramatisch. Wie auch in Ein ganzes halbes Jahr muss Lou am Ende wieder zu ihrem Glück gezwungen werden, denn positive Entscheidungen für sich selbst treffen --- wo kämen wir da hin?

Ein ganz neues Leben ist leichte Unterhaltung und durch die Anknüpfung an Band 1 und die Charaktere auch mäßig interessant - für sich genommen aber sicherlich keine Geschichte, die unbedingt erzählt werden müsste.

Jojo Moyes, Ein ganz neues Leben. Argon 2015.

Friday, October 05, 2018

Katrine Engberg - Krokodilwächter

Katrine Engberg bringt in ihrem ersten Krimi Krokodilwächter die Kommissare Jeppe Kørner und Anette Werner an den Start. Der Fall ist brutal und der Täter skrupellos: Julie - gerade erst zum Studium nach Kopenhagen gezogen - wird erstochen und mit Schnitten im Gesicht in ihrer Wohnung gefunden. Ihre Vermieterin, die im selben Haus wohnt, ist geschockt - hatte sie doch Julie als Vorlage für das Opfer in ihrem Kriminalroman, an dem sie schreibt, verwendet! Die Ähnlichkeiten sind beängstigend. Als ihr Hauptverdächtiger auch ermordet wird, ist für die Ermittler klar, dass der Täter nicht so schnell Ruhe geben wird. 

Jeppe Kørner steckt selbst noch in einer Krise nach der Trennung von seiner Frau, ist dabei zwar nicht immer sympathisch, aber ein authentischer Charakter. Auch die übrigen Personen werden gut gezeichnet, die Ermittlungen sind nachvollziehbar. Zwar entstehen an manchen Stellen erzählerische Längen, hauptsächlich um den Protagonisten mehr Raum zu geben, aber alles in allem ist Krokodilwächter ein spannender Roman, bei dem mir vor allem das Kopenhagener Setting gut gefallen hat.

Die Lesung von Dietmar Bär ist exzellent wie immer, seine Stimme passt gut zur Atmosphäre des Romans und zur Perspektive von Jeppe Kørner.

Katrine Engberg, Krokodilwächter. DAV 2018.