Monday, July 30, 2007

Norbert Horst: Todesmuster

Deutscher Krimi. Preisgekrönt. Norbert Horst ist in seinem ersten Leben Polizist, in seinem zweiten Autor. Und kein schlechter (Friedrich Glauser 2004, Deutscher Krimipreis 2006). Nach einer ersten Gewöhnungsphase auf den ersten Seiten ist der ungewöhnliche, protokollartige, die Gedanken des Ich-Erzählers wiedergebende Stil durchaus spannend. Das Geschehen von Todesmuster umfasst keine zwei Wochen - das ergibt zusammen mit dem Erzählstil ein recht zügiges Tempo.
Der Protagonist hat Ecken und Kanten, ist mal witzig, mal mitfühlend, mal in seinen eigenen Unzulänglichkeiten gefangen. Der Fall entwirrt sich nach und nach, obwohl es am Anfang fast unmöglich scheint, da sich kaum verfolgenswerte Spuren finden. Vielleicht ist gerade das der Grund, warum die Ermittlungen mit all ihren Banalitäten, falschen Fährten und Details so glaubhaft und realistisch scheinen. Man mag nicken und sagen: "Ja, vermutlich arbeitet die deutsche Kriminalpolizei tatsächlich so." Vor dem Hintergrund des Werdegangs des Autors auch plausibel. Etwas frustrierend, dass der Täter gefasst, aber die Tat selbst nicht durch ein Tätergeständnis genauer erklärt wird, aber vielleicht wäre dies auch schrecklich genauer zu wissen. So bleibt vage, was genau geschehen ist, auch das Opfer bleibt unscharf.
Alles in allem ist Todesmuster anders als andere deutsche Krimis - und das ist nicht schlecht.


Norbert Horst: Todesmuster. München 2005.

Friday, July 13, 2007

Ensemble, c'est tout


Was erwartet man von einem Buch, das in Paris spielt, und von den darin agierenden Charakteren? Lebensfreude, die schönen Künste, z.B. Malerei, Musik,..., gutes Essen, vielleicht noch eine gewisse Geschichtsverbundenheit, das Land atmet das Königliche und die Revolution gleichermaßen. Voilà – damit wären ja schon einige Komponenten von Anna Gavaldas Bestseller „Zusammen ist man weniger allein“ genannt. (Der französische Originaltitel „Ensemble, c’est tou“ ist allerdings treffender.)

Vier Charaktere, die unterschiedlicher nicht sein können, schälen sich im Laufe des Buches aus ihren Einsamkeiten, um sich in Wohngemeinschaft und Freundschaft endlich wieder an ihrem Leben zu freuen. Da wären:

Camille – arbeitet als Putzfrau, isst kaum d.h. zu wenig, trinkt und raucht, viel zu viel, und zeichnet und malt wie ein Engel, aber zu wenig. Sie wacht jeden Tag mit dem Gefühl auf „Kies zu kauen“ und die Erinnerungen an ihr bisheriges Leben und ihre Familie quälen sie.

Franck – ein begabter Koch, schuftet und schuftet und verwechselt in seiner Freizeit Motorradfahren und kurze Frauengeschichten mit dem Leben. Einziger Lebensliebeslichtblick: Seine Großmutter Paulette.

Paulette – Francks Großmutter, hat ihn groß gezogen und ist alt und langsam zu alt, um noch allein zu wohnen. Ihr altes Haus – das kleine Paradies. Das Altersheim – ein Albtraum.

Philibert – adelig, aber durch seine Familie zu einem unsicheren, gestörten jungen Mann geworden, der Postkarten verkauft und mit einem schier unendlichen historischen Wissen stotternd umherirrt. Er bewohnt bis zur Lösung einer Erbschaftsstreiterei ein museumshaftes Appartement, das für ihn allein viel zu groß ist.

Zusammen mit diesen vier betritt man Philiberts Appartement und damit eine andere Welt, in der normal nichts mehr bedeutet und Leben neu definiert wird und eine andere Qualität bekommt. Das Alte hinter sich lassen, Neues schaffen, aber das nur im Miteinander.
Keine neue Botschaft, natürlich, aber die Charaktere sind ganz wunderbar in ihrer Skurrilität und in ihrer Glaubhaftigkeit.
Man will plötzlich auch nach Paris, am liebsten mit diesen in ihre WG einziehen, ein wunderbares Bild malen, Vivaldi hören oder ein mehrgängiges Menü kochen.
Auch sprachlich macht das Buch Spaß: Die Dialoge lassen nach und nach immer mehr durchscheinen, was für Menschen da miteinander sprechen, die Gedanken und Selbstgespräche von Camille lassen einen manchmal schmunzeln, manchmal traurig sein.
Aber genug des Kommentars: Selber lesen. Am besten schnell, denn Mitte August hat der Film Premiere, wer weiß... Wobei man mit Audrey Tautou in der Rolle der Camille hoffen darf...



Zum Schluss noch eine kleine Leseprobe:

Am nächsten Tag blieb sie im Bett, bis es Zeit war, den Besen zu schwingen. Als sie aufstand, sah sie auf dem Tisch den Teller, den Franck für sie zubereitet hatte, mit einer kleinen Nachricht: „Filetspitze von gestern mit Backpflaumen und frischen Tagliatelle. Mikrowelle drei Minuten.“
Fehlerlos, alle Achtung.
Sie aß im Stehen und fühlte sich sogleich besser.

Schweigend verdiente sie ihren Lebensunterhalt.
Wrang den Scheuerlappen aus, leerte Aschenbecher und verschnürte Müllbeutel.
Kehrte zu Fuß nach Hause zurück.
Schlug die Hände gegeneinander, um sie aufzuwärmen.
Nahm den Kopf wieder hoch.
Dachte nach.
Und je mehr sie nachdachte, desto schneller lief sie.
Rannte fast.
Es war zwei Uhr morgens, als sie Philibert schüttelte:
„Ich muss mit dir reden.“

„Jetzt?“
„Ja.“
„A... aber, wie spät ist es denn?“
„Das ist egal, hör mir zu.“
„Reich mir bitte meine Brille.“
„Du brauchst keine Brille, es ist dunkel.“
„Camille ... Bitte.“

„Ah, danke. Mit meinen Gläsern höre ich besser. Na, Soldat? Was verschafft mir die Ehre dieses Hinterhalts?“
Camille atmete tief durch und packte aus. Sie hörte eine Weile nicht mehr auf zu reden.


(Anna Gavalda: Zusammen ist man weniger allein. Carl Hanser Verlag, München/Wien 2005, S. 343f.)

Offen liegt das Meer

Nach neuen Meeren

Dorthin – will ich; und ich traue
Mir fortan und meinem Griff.
Offen liegt das Meer, ins Blaue
Treibt mein Genueser Schiff.

Alles glänzt mir neu und neuer,
Mittag schläft auf Raum und Zeit –:
Nur dein Auge – ungeheuer
blickt‘s mich an, Unendlichkeit!
Friedrich Nietsche

Wednesday, July 11, 2007

Verschwommene Fotografie


Komm, gieß' mein Glas noch einmal ein
Mit jenem bill'gen roten Wein,
In dem ist jene Zeit noch wach,
Heut' trink ich meinen Freunden nach.
Bei diesem Glas denk' ich zurück
An Euch, mit denen ich ein Stück
Auf meinem Weg gegangen bin;
Mit diesem Glas trink' ich im Sinn
Nach Süden, Ost und West und Nord
Und find' Euch in Gedanken dort,
Wo immer ihr zuhause seid,
Seh' die Gesichter nach der Zeit
In meinem Glas vorüber zieh'n,
Verschwommene Fotografien,
Die sich wirr aneinanderreih'n...

(aus: Reinhard Mey, Komm gieß mein Glas noch einmal ein, 1970)

Monday, July 09, 2007

Glückssuche

Francois Lelord war bis 1996 Psychiater in Paris, schloss seine Praxis und zog in die Welt hinaus, um etwas über den Sinn des Lebens herauszufinden. Die erste Veröffentlichung war "Hectors Reise oder die Suche nach dem Glück" 2002. Weitere Bände zum Thema Liebe und Zeit folgten.

Hector ist Psychiater in "einer großen Stadt mit breiten Alleen, die von schönen alten Gebäuden gesäumt wurden" und er zieht in die Welt hinaus, um etwas über das Glück zu erfahren, denn er ist nicht mit sich zufrieden, weil "er die Leute nicht glücklich machen konnte". Wobei ihm auch so manches Mal nicht klar ist, warum die Leute eigentlich unglücklich sind. So reist er nach China, Chile und Kalifornien und trifft auf die unterschiedlichsten Menschen und macht seine Beobachtungen zu deren Glück oder Unglück. Seine Gedanken dazu schreibt er in ein kleines Notizbuch in Form von Lektionen. Zum Beispiel:

  • Lektion Nr.1: Vergleiche anzustellen ist ein gutes Mittel, sich sein Glück zu vermiesen.
  • Lektion Nr.8: Glück ist, mit den Menschen zusammen zu sein, die man liebt.
  • Lektion Nr.10: Glück ist, wenn man eine Beschäftigung hat, die man liebt.
  • Lektion Nr.19: Sonne und Meer sind ein Glück für jeden Menschen.

Hector sammelt schöne, kleine Weisheiten. Gleichzeitig ist das Buch so erfrischend einfach erzählt in einer fast kindlichen Sprache (den Kritikern solcher Bücher wird das sicherlich ein Stein des Anstoßes sein), fast dazu führt, dass man einfach so hindurchrutscht beim Lesen. Aber hinterher mag man noch einmal zurückblättern und die ein oder andere Geschichte oder Lektion noch einmal bedenken.

Warum auch nicht - wenn es nur dazu dienen kann, auch nur einen Tag oder eine Stunde des Lebens nur ein wenig glücklicher zu verbringen, weil man seine Relationen anders setzt (siehe Lektion Nr.1), dann hat sich die Lektüre gelohnt.

Wünsche glückliche Lesestunden.

Francois Lelord: Hectors Reise oder die Suche nach dem Glück. München, Piper-Verlag, 2006.

Sunday, July 08, 2007

On Beauty


Gerade zuende gelesen: Zadie Smith "On Beauty"
Lesenswert - sprachlich schön (wenn auch nicht an allen Stellen einfach für den nicht Muttersprachler) dicht gewobene Familiengeschichte und wunderbar zynische Betrachtungsweise des Wissenschaftsalltags und Universitätslebens, faszinierende Charaktere.

Mehr über die Autorin (Zeit-Artikel)
Rezension bzw. Appetitanreger

Monday, July 02, 2007

Kleines Beispiel

















Auch ungelebtes Leben
geht zu Ende
zwar vielleicht langsamer
wie eine Batterie
in einer Taschenlampe

Aber das hilft nicht viel:
Wenn man
(sagen wir einmal)
diese Taschenlampe
nach so- und so vielen Jahren
anknipsen will
kommt kein Atemzug Licht mehr heraus
und wenn Du sie aufmachst
findest Du nur Deine Knochen
und falls Du Pech hast
auch diese
schon ganz zerfressen

Da hättest Du
genau so gut
leuchten können

Erich Fried