Sunday, April 26, 2009

Alan Bennett: Handauflegen


Nach Die souveräne Leserin und Cosi fan tutte ist Handauflegen nun die dritte Geschichte, die ich von Alan Bennett gelesen habe. Vielleicht ist Handauflegen nicht gar so bissig und sprachlich treffsicher (sofern man bei Übersetzungen überhaupt so harsch urteilen sollte) wie die beiden anderen, die mich sehr begeisterten. Dennoch ist es eine sehr hübsche, englische Geschichte über eine Gedenkfeier für einen Toten, den alle Besucher erst in der Kirche als den gemeinsamen (sexuellen) Nenner der britischen High Society, der Stars und "wichtigen Menschen" erkennen. Unterhaltsam und ein bisschen böse. 
Alan Bennett, Handauflegen. Wagenbach, Berlin 2009. 

Saturday, April 25, 2009

Mein Urgroßvater und ich

Erneut gelesen: Mein Urgroßvater und ich von James Krüss, ausgezeichnet mit dem Deutschen Jugendbuchpreis. Der 10jährige Boy und sein Urgroßvater sitzen in einem Schuppen, erzählen sich Geschichten und dichten gemeinsam und um die Wette. James Krüss schrieb die ersten Geschichten über diese beiden schon 1956 in Der Leuchtturm auf den Hummerklippen. Vielleicht gibt es die Welt dieser beiden auch nicht mehr, diese heile Inselwelt (Sylt, dort wuchs auch James Krüss auf) mit Fischern und urigen Charakteren, alle mit einem Spitznamen versehen, jeder kennt jeden. Nach Mein Urgroßvater und ich wünscht man sich aber, es gäbe sie noch!
"Haltet die Uhren an, vergesst die Zeit, ich will euch Geschichten erzählen!"
- James Krüss


James Krüss, Mein Urgroßvater und ich. Süddeutsche Zeitung Junge Bibliothek Band 7, München 2005.

Monday, April 20, 2009

Das Kind Kind sein lassen...



Nach dem kontroversen Warum Kinder zu Tyrannen werden hat Winterhoff nun sein zweites Buch herausgebracht, in dem er seine Überlegungen zur Erziehungsmisere, die durch Beziehungsstörungen zwischen Kindern und Erziehenden (Eltern, Großeltern, Erziehern in Kindergärten, Lehrern, ...) hervorgerufen werden, weiterführt.

Ich will es auch gar nicht in der Länge und Breite zusammenfassen, dazu lassen sich viele andere Rezensionen - begeisterte und kritische - im Netz finden. Die Hoffnung vieler, die den ersten Band gelesen haben, war sicher, Winterhoff könne auch noch brauchbare Ansätze liefern, wie man die Beziehungsstörungen beheben kann. Aber ein Patentrezept kann auch er nicht liefern - einer der Punkte, die ihn wiederum so glaubwürdig machen.

In den ersten zwei Dritteln des neuen Buches fasst er noch einmal die Ergebnisse des ersten zusammen und versucht, die in der Kontroverse aufgetauchten Missverständnisse zurechtzurücken. Im letzten Drittel dann kommen seine Ansätze, an welchen Punkte er Ansätze sieht, die Situation zu verbessern oder zu entschärfen. Diese sind aber individueller Art, jeder muss über seinen Standpunkt, mit dem er Kindern gegenüber tritt, überdenken, überprüfen und gegebenenfalls ändern.

Interessant ist, dass er im Kapitel 8, Ausklang, als letzten wichtigen Punkt das "Wachrütteln der politischen Instanzen" benennt:
"Wie [...] bereits beschrieben, sind es oft weniger die Lehrer an den Schulen, die für untaugliche Methodik und fasches Verhalten gegenüber den Schülern verantwortlich sind. Sehr oft werden diese Dinge im bildungspolitischen Elfenbeinturm konstruiert und als Handlungsanweisungen nach unten gegeben. Damit finden sie dann Eingang in die Lehreraus- und -weiterbildung, und der Druck auf die Lehrer an den Schulen, nach diesen Modellen zu handeln, ist immens." (S. 189)
An anderer Stelle seines Buches spricht er außerdem davon, dass in den letzten Jahren Bildungspolitik (z.B. aufgrund von Pisa-Ergebnissen) zunehmend unter Reformdruck geraten ist. So wurde also reformiert und neukonzipiert um jeden Preis, wobei keine dieser Neuerungen hinsichtlich ihrer Wirksamkeit jemals wissenschaftlich/statistisch untersucht worden sei. Man weiß im Grunde nicht, ob all die tollen neuen Dinge, hinter deren Umsetzung die Lehrer zur Zeit krampfhaft herhecheln, weil es eben so gewollte ist, tatsächlich wirklich funktionieren und zu Verbesserungen beitragen können. Manches klingt nicht verkehrt, sage ich da aus der Praxis, einiges ist so offensichtlicher Blödsinn, dass an Schulen nur die Köpfe geschüttelt werden. Vielleicht planen wir also an dem (schulischen und gesellschaftlichen) Problem gerade trotz aller Hektik vorbei.

Man kann nur hoffen, dass Winterhoffs Überlegungen und Erkenntnisse weiter diskutiert werden und sich viellleicht derart die Sicht auf die Probleme der Kinder und ihrer Erziehenden verändert, um dann passende Konzepte entwickeln zu können.

Michael Winterhoff: Warum Tyrannen nicht sein müssen. Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2009.


Sunday, April 19, 2009

Anna Gavalda - Ich wünsche mir, dass irgendwo jemand auf mich wartet


Dies ist ein kleines, feines Buch mit Kurzgeschichten von Anna Gavalda, der Autorin von Zusammen ist man weniger allein. Leise Geschichten aus Paris und vom Leben und der Liebe. Alltägliches, das sie mit ihrer Erzählweise so auf den Punkt bringt, dass man angerührt wird von den Schicksalen ihrer Protagonisten. Schön.

Anna Gavalda: Ich wünsche mir, daß irgendwo jemand auf mich wartet. Erzählungen. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt 2008.

Saturday, April 18, 2009

Der Geschmack von Apfelkernen

Wunderbar! Ich lasse das Buch für sich sprechen.



Das Gehirn versandete wie ein unbefestigtes Flussbett. Erst bröckelte es nur ein bisschen vom Rand, dann klatschten große Stücke des Ufers ins Wasser. Der Fluss verlor seine Form und Strömung, seine Selbstverständlichkeit. Schließlich floss gar nichts mehr, sondern schwappte nur hilflos nach allen Seiten. Weiße Ablagerungen im Gehirn ließen die elektrischen Ladungen nicht durch, alle Enden wurden isoliert, und am Ende auch der Mensch; Isolation, Insel, Gerinnsel, England, Elektronen und Tante Ingas Bernsteinreifen, Harz wurde hart im Wasser, Wasser wurde hart, wenn der Frost klirrte, Glas war aus Silizium, und Silizium war Sand, und Sand rieselte durch die Eieruhr, und ich sollte jetzt schlafen, es wurde langsam Zeit.
(S. 78f.)

Immer wenn ich schwamm, fühlte ich mich in Sicherheit. Der Boden unter meinen Füßen konnte nicht weggezogen werden. Er konnte nicht brechen, nicht einsinken oder wegrutschen, weder sich auftun noch mich verschlingen. Ich stieß nicht gegen Dinge, die ich nicht sehen konnte, trat nicht versehentlich auf etwas, verletzte weder mich noch andere. Wasser war einschätzbar, es blieb immer gleich. Gut, mal war es klar, mal schwarz, mal kalt, mal warm, mal ruhig, mal bewegt, aber es blieb in seiner Beschaffenheit, wenn auch nicht in seinen Aggregatzuständen, immer gleich, war Wasser. Und Schwimmen, das war Fliegen für Feiglinge. Schweben ohne Absturzgefahr. Ich schwamm nicht besonders schön – mein Beinschlag war asymmetrisch – , aber zügig und sicher, und wenn es sein musste, auch stundenlang. Ich liebte den Moment des Verlassens der Erde, den Elementenwechsel, und ich liebte den Moment des Michverlassens darauf, dass das Wasser mich trug. Und, anders als Erde und Luft, tat es das ja auch. Vorausgesetzt, man schwamm.
(S. 87)



Wie wahr waren Geschichten, die einem erzählt wurden, und wie wahr die, die ich mir selbst aus Erinnerungen, Vermutungen, Phantasien und heimlich Erlauschtem zusammenreimte? Manchmal wurden erfundene Geschichten im Nachhinein wahr, und manche Geschichten erfanden Wahrheit.
Die Wahrheit war eng verwandt mit dem Vergessen, das wusste ich, denn Wörterbücher, Enzyklopädien, Kataloge und andere Nachschlagewerke las ich ja noch. Im griechischen Wort für Wahrheit, aletheia, floss versteckt der Unterwelt-Strom Lethe. Wer das Wasser dieses Flusses trank, legte seine Erinnerungen ab wie zuvor seine sterbliche Hülle und bereitete sich so auf sein Leben im Schattenreich vor. Damit war die Wahrheit das Unvergessene. Aber war es sinnvoll, die Wahrheit ausgerechnet dort zu suchen, wo das Vergessen nicht war? Versteckte sich die Wahrheit nicht mit Vorliebe in den Ritzen und Löchern des Gedächtnisses? Mit Wörtern kam ich auch nicht weiter. (S. 193)

Katharina Hagena, Der Geschmack von Apfelkernen, Kiepenheuer & Witsch, Köln 2008.

Friday, April 17, 2009

Familiensagas

Auf der Rückreise aus dem Norden habe ich kürzlich das Buddenbrookhaus in der Mengstraße 4 in Lübeck besichtigt. Dort lebten Thomas und Heinrich Mann und ihre Geschwister als Kinder und das Haus war die Vorlage für das Haus der Familie Buddenbrook in Thomas Manns Roman. Diesem Zusammenhang zollt das Museum, indem es in der unteren Etage die Familiengeschichte der Manns mit Fotos, Texten, Dokumenten und Filmsequenzen darstellt und im zweiten Stock den Buddenbrookroman mit Entstehungs- und Rezeptionsgeschichte würdigt. Letzteres interessiert im Detail vermutlich eher Literaturwissenschaftler, aber die Fülle an Material, Zeitzeugnissen und Originaldokumenten ist schon faszinierend.
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Der Zufall wollte es, dass ich mir Die Manns – Ein Jahrhundertroman auf DVD (Film-Zusammenfassung bei wikipedia) ausgeliehen hatte und die Besichtigung in Lübeck zum Anlass nahm die dreiteilige Dokumentation nun endlich anzusehen. Irgendwann in den Untiefen der Erinnerung hatte ich ein grobes Vorwissen zu Thomas Mann, das von einer Vorlesung in Marburg herrührt, aber wie dramatisch und schwierig und kompliziert diese Familiengeschichte im Detail war, weiß ich erst jetzt. Der Film ist durch die Kombination von filmischer Darstellung (mit Armin Müller-Stahl als Thomas Mann) mit authentischen Interviews der Familienmitglieder sehr eindringlich. Besonders die zum Zeitpunkt des Filmdrehs noch lebende Elisabeth Mann Borgese (1918-2002) fasziniert und muss einem sympathisch werden - vielleicht als einzige aus der ganzen Familie. Die vielen Selbstmorde der Familien sprechen vermutlich für sich.
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Nun, Thomas Mann war auch vorher keiner meiner Lieblingsschriftsteller und wird es vermutlich nie werden - aber er ist eine der großen Figuren der deutschen Literaturgeschichte und ich bin ganz froh, neue Eindrücke gesammelt zu haben. Den Film kann ich auch deswegen nur empfehlen.
"Der Mensch soll um der Güte und Liebe willen dem Tode keine Herrschaft einräumen über seine Gedanken."

Thomas Mann, Der Zauberberg (Kapitel Schnee), 1924.

Tuesday, April 07, 2009

I as I

Reborn and shivering
Spat out on new terrain
Unsure unconvincing
This faint and shaky hour

Day one day one start over again
Step one step one
I'm barely making sense for now
I'm faking it til I'm pseudo making it
From scratch begin again but this time I as I
And not as we

[...] Eyes wet toward
Wide open frayed
If god's taking bets I pray
He wants to lose

Day one day one start over again
Step one step one I'm barely making sense for now
I'm faking it til I'm pseudo making it
From scratch begin again but this time I as I
And not as we
Alanis Morissette, Not As We. From "Flavors of Entanglement", 2008.

Saturday, April 04, 2009

Das Meer



Der Wind hat gedreht, und die Flut kommt herein,
dunkelgrau, mit einem silb'rigen Schein.
Und über die Mole, da fliegt schon die Gischt,
wenn die Welle aufläuft und die Brise auffrischt.

Mit einem Mal füll'n sich die Priele im Sand,
und über den kahlen, verlassenen Strand
treibt der Wind trock'ne Algen und Schaum vor sich her,
es ist da, das gewaltige, ewige Meer.

Auf hellem Türkis tanzen glitzernde Lichter,
auf der schwarzen Brandung weiß schäumende Wut.
Es hat tausend Farben und tausend Gesichter,
im ewigen Wechsel von Ebbe und Flut.
...

Reinhard Mey, Das Meer. Von dem Album Balladen, 1988.

Friday, April 03, 2009

Intelligenz


Kleines, kurzweiliges Buch vom Comedian Dieter Nuhr. Die Frage wird selbstverständlich nicht wirklich beantwortet, aber die ein oder andere zynisch-sarkastische bzw. intelligente (!) Beobachtung gelingt ihm doch. Kein Must-Read, aber nett unterhaltend.
Dieter Nuhr, Gibt es intelligentes Leben? rororo, Reinbek 2006.