Saturday, June 29, 2019

Charles Dickens - Oliver Twist


Charles Dickens' zweiter Roman Oliver Twist erschien als Fortsetzungsroman von Februar 1837 bis April 1839 und ist damit schlappe 180 Jahre alt. Dennoch ist der Stoff immer noch populär und die Liste der Adaptionen für Film und andere Medien ist lang. Aufgrund der Länge (etwa 600 Seiten) entschied ich mich für diese Audiobook-Fassung von etwa zwölf Stunden, bei der Johannes Gabriel dem Text sehr ansprechend Leben gibt.

Natürlich kannte ich die grobe Geschichte des Waisenjungen Oliver, etwas überrascht hat mich aber doch die intensive Milieuzeichnung der Armen und Verbrecher und die tiefe Düsternis der Charaktere. Vor dem menschlichem Abschaum in all seinen Facetten wirkt der junge Oliver nahezu unfehlbar untadelig und charakterstark. Dabei vermeidet Dickens es, die kindliche Perspektive einzunehmen: Zwar verfolgen wir sein Schicksal, bemerken, wie andere seine Wünsche und Bedürfnisse wahrnehmen oder durchkreuzen, aber eine Innensicht erhalten wir nicht. Da wird der Leser näher an das Denken und Empfinden der durch und durch verdorbenen Charaktere Fagin und Sikes herangeführt. Interessant ist auch, welch deutlich antisemitische Aspekte der Roman hat, denn immer wieder nennt der Autor den Hauptschurken Fagin nur "der Jude" und verwendet die gängigen Klischees. Dies wird bei moderneren Adaptionen natürlich sensibel geändert und laut Wikipedia soll Dickens selbst diese in späteren Fassungen abgemildert haben.
Auch wenn nicht wirklich alle zwölf Stunden spannend waren, so ist der Roman doch ein interessantes literarisches Werk und zu Recht ein Klassiker.

Charles Dickens, Oliver Twist. Phonetics Group 2006. 


Saturday, June 22, 2019

Enid Blyton - Fünf Freunde auf großer Fahrt

In diesem Band wollen die fünf Freunde eigentlich nur in der Heide wandern, aber das Abenteuer holt sie wie immer ein.
In einer Unwetternacht verwechselt ein entlaufener Sträfling Dick mit jemand anderem und steckt ihm eine geheimnisvolle Botschaft zu - was haben die seltsamen Ortsangaben und der kleine Zettel zu bedeuten?
Natürlich kommen die Fünf dahinter und sind allesamt schlauer als die Verbrecher, die die gleiche Spur verfolgen.
Es gibt durchaus einige bedrohliche Situationen in diesem Band, so dass es stets spannend bleibt - zusammen mit einer ordentlichen Prise Lokalkolorit wie immer ein klassisches Lesevergnügen.

Enid Blyton, Fünf Freunde auf großer Fahrt. cbj, München 2015.

Friday, June 21, 2019

Siegfried Lenz - Die Flut ist pünktlich

Die Flut ist pünktlich ist eine Sammlung von sieben Kurzgeschichten von Siegfried Lenz. Erstmals wurden sie in einer Sammlung Die Erzählungen zu Lenz' 80. Geburtstag 2006 bei Hoffmann und Campe verlegt.
Die Auswahl in diesem Band zeigt ein breites Spektrum an Form und Inhalt. Die Beziehungen und Momente, in denen sich die Protagonisten befinden, sind fast allesamt Ausnahmesituationen, weswegen man mit Spannung verfolgt, wie die Figuren reagieren und wie die "Lösung" oder die "Katastrophe" der Geschichte aussehen wird.
Der Untertitel "Meistererzählungen" ist definitiv gerechtfertigt, Lenz brilliert hier mit Sprache und Erzählkunst.

Siegfried Lenz, Die Flut ist pünktlich. Hoffmann und Campe, Hamburg 2010.

Sunday, June 16, 2019

Stephen Chbosky - Das also ist mein Leben


Charlie ist nicht der typische Highschool-Junge, nein, er ist schüchtern, schräg, anders. So hält er sich meistens im Hintergrund, beobachtet, denkt nach. Und aus seinen Briefen an den unbekannten Freund, dessen Namen wir nie erfahren, wird deutlich, dass er eine Vergangenheit mit psychischen Problemen und schwierigem Verhalten hat. Doch er durchbricht seine Gewohnheiten, als er Patrick und Sam kennenlernt und Freundschaft schließt. Plötzlich tut sich ihm eine neue Welt auf, die ihm zwar auch neue Probleme bereitet, aber dazu führt, dass er sich lebendiger fühlt und teilnehmen kann an der bunten Welt da draußen...

Stephen Chboskys Roman erschien bereits 1999, 2012 kam die Verfilmung unter Regie des Autors in die Kinos. Charlies Geschichte löste einige Kontroversen aus. In den USA erreichte der Roman mehrmals Bestplazierungen auf der Liste der "most-frequently-challenged books" wegen der enthaltenen Bezüge zu Drogenerfahrungen oder Homosexualität. In den Kritiken und Buchrezensionen wird oft angemerkt, dass zahlreiche komplexe Themen wie auch Selbstmord, Missbrauch, Vergewaltigung etc. zur Sprache kommen, aber nicht wirklich thematisiert bzw. problematisiert werden. Charlie erlebt und beobachtet, reflektiert aber nur wenig, handelnd eingreifen kann oder will er nur selten. Auch wird nicht deutlich, welche psychische Erkrankung eventuell zu seiner Andersartigkeit führt - wenngleich eine Form von Autismus naheliegend ist, wird dies nie deutlich thematisiert. Statt alledem befinden wir uns in Charlies Briefen in einer Art andauerndem und ungefiltertem Stream-of-Consciousness. Ist er deswegen einer schwacher Protagonist? Nein, ich denke nicht. Er spricht mit seinen Ängsten und seinen Schwierigkeit typische Teenager-Probleme an, jedoch durch seine Andersartigkeit um einiges gesteigert. Seine Sichtweise wirbt gleichzeitig um Verständnis für ihn, für sein Anderssein und auch für die Eigenarten der anderen. Die Nennung von Musik, Filmen und Romanen bietet zugleich emotionale Identifikationsfläche - hier finden wir uns wieder, können doch einen Bezug zu diesem schrägen Jungen herstellen und ihn mögen. Chbosky hat kein heikles Problem-thematisierenden Buch geschrieben, sondern eine Coming-of-Age-Story mit einem ungewöhnlichen und nicht unproblematischen Protagonisten. Dabei macht er stilistisch keine Extravaganzen, wenngleich einige Textstellen zu beliebten Zitaten geworden sind, dennoch spricht ein Teenager. Die kleinen Botschaften zur Selbstliebe und Selbstakzeptanz kommen aber gerade deshalb beim Zielpublikum (und auch vielen anderen) gut an und begründen wohl den Erfolg des Romans.

Stephen Chbosky, Das also ist mein Leben. Heyne, München 2011.

Thursday, June 13, 2019

J.M. Barrie - Peter Pan

Zahlreiche Adaptionen, nicht zuletzt von Disney oder Steven Spielberg, sind der Grund, warum fast jeder die Geschichte von Peter Pan kennt. Dabei ist die ursprüngliche Fassung von J.M. Barrie gar nicht als Kinderbuch vorgesehen gewesen, erst nach einem Buch für Erwachsene (1902) und einer Bühnenfassung (1904) erschien 1911 die für Kinder adaptierte Fassung unter dem Titel Peter und Wendy.

Peter Pan ist eine zwispältige Figur, symbolhaft für eine sorglose, fantasiereiche Kindheit, in der alles Wirklichkeit wird, was man sich nur ausdenken kann, und jederzeit Abenteuer warten. So nehmen Kinder oft oder phasenweise ihre Welt wahr, bis erste Verpflichtungen, Konflikte und Kümmernisse sie auf den Weg zum Erwachsenwerden bringen. Doch Peters Sorglosigkeit umfasst auch, sich nicht ernsthaft auf Dinge einzulassen, für nichts und niemand Verantwortung zu tragen und zu vergessen, was außer Sicht gerät. So vergisst er auch Wendy, die doch von ihm auserwählt wurde, ihn nach Nimmerland zu begleiten, was diese verzweifeln lässt. Denn sie vergisst ihn nie, gesteht sich aber ein, dass sie nicht für immer Kind bleiben kann und bleiben möchte, denn sie liebt ihre Eltern, die sie nicht vergessen will. Daher kehrt sie zurück und muss auf Peter und all die fantastischen Abenteuer verzichten. Aber sie gibt sie als Geschichten und Erinnerungen an ihre Kinder weiter.
Mich haben die Abenteuer der Kinder auf Nimmerland, die oft nur in groben Zügen angedeutet werden und teils einen rabiatem Ausgang nehmen, nicht besonders angesprochen. Vielleicht bin ich zu erwachsen?! Faszinierend finde ich jedoch das Bild des Fliegen (ob nun mit Feenstaub oder ohne) - wer hat nicht als Kind davon geträumt fliegen zu können oder es sogar empfunden? Vielleicht endet Kindheit wirklich in dem Moment, in dem man dies vergisst oder nicht mehr daran glaubt.

The moment you doubt whether you can fly, you cease for ever to be able to do it.

J.M. Barrie, Peter Pan. Insel, Leipzig 2015.

Tuesday, June 11, 2019

Alan Bradley - Vorhang auf für eine Leiche


Wie schon im vorangehenden Band deutlich wurde, ist Flavias Zuhause, der Herrensitz von Buckshaw, bedroht - die Familie ist pleite. Zum Glück will eine Filmcrew über Weihnachten in dem Anwesen einen Film drehen und das bringt Geld und neue Hoffnung für die Familie. Die drei Schwestern sind auch erfreut über die Aufregung, welche die Crew mit den bekannten Schauspielern ins Haus bringt. Doch als würde Flavia die Leichen irgendwie anziehen, wird die Hauptdarstellerin schon in der ersten Nacht erdrosselt! Und wie in einem klassischen "Whodunnit" sind alle Verdächtigen auf Buckshaw zu finden, denn wegen eines Schneesturms kann niemand das Haus verlassen.

Das Szenario, das Alan Bradley in Vorhang auf für eine Leiche entwickelt, schafft eine reizvolle klassisches Krimiatmosphäre, in der Flavia mit ihrer ganz eigenen Art mühelos und glaubhaft die Rolle der Ermittlerin à la Miss Marple übernimmt. Nebenbei erlangen einige der Nebencharaktere, Flavias Schwestern beispielsweise und die mysteriöse Tante Felicity, weitere Tiefe. Gemeinsam mit Flavia entdeckt der Leser, dass sie ihr Urteil über die Verwandten vielleicht revidieren muss und dass es da sehr viel mehr zu wissen gibt, als sie bisher dachte. Es deutet sich an, dass ihre kindliche Sichtweise langsam abgelöst werden wird von einer differenzierteren Weltsicht einer Heranwachsenden. Diese subtile Zusammenfügen von kleinen Mosaiksteinen der Familiengeschichte der de Luces ist nahezu genauso spannend wie der eigentliche Kriminalfall. Definitiv ist Vorhang auf für eine Leiche ein weiterer spannender Band der Serie.

Alan Bradley, Vorhang auf für eine Leiche. Random House Audio 2012.

Thursday, June 06, 2019

Postcrossing - still great

After taking a break from writing cards due to serious work overload I sent out some card two and a half weeks ago. Here's what I received in return already! All my wishes fulfilled! 

A great ocean-related art card:
Vincent Van Gogh: The Sea at Les Saintes-Maries-de-la-Mer (1888)
sent by Nicole from the Netherlands

Inger Nilsson as Pippi Longstocking by Astrid Lindgren (1969)
sent by Claudia from Switzerland

A cute illustration card:
"Peekamew" by Alicia Souza
sent by Clare from the UK

first lighthouse card, sent by Lee from the USA

second lighthouse card,
Quimper lighthouse,
sent by Christelle from Brittany, France

Amazing black and white card:
Robert Doisneau; "La Sonnette", Paris 1934
sent by Tonia, an artist herself, from Paris, France

Moominmama (Tove Jansson)
sent by Raili from Espoo, Finland

Wednesday, June 05, 2019

Elisabeth Herrmann - Die letzte Instanz

In seinem dritten Fall Die letzte Instanz verstrickt sich Joachim Vernau tief in der schwierigen Frage nach Gerechtigkeit. Zunächst wird er Zeuge, wie Margarethe Altenburg, eine ältere Dame aus Görlitz, versucht, seinen Mandanten, einen Obdachlosen, vor dem Gerichtsgebäude zu erschießen. Sie verfehlt ihn und bricht dann selbst zusammen. Vernau hat Mitleid mit der Dame, die offensichtlich verstört und zugleich von einem inneren Drang angetrieben wird. Er beginnt zu nachzuforschen und stößt auf Hinweise auf Gerichtsverfahren, bei denen die Täter ohne oder mit geringer Strafe davongekommen sind, obwohl sie offensichtlich schuldig sind. Handelt es sich um einen Racheakt? Schließlich wird sein Mandant doch tot aufgefunden und es geschehen weitere, auf den ersten Blick zusammenhanglose Morde. Es bedarf einer geduldigen Recherche, um sich der Wahrheit langsam anzunähern, wer da mordet und warum.  
Vernau ist gleichzeitig schwer verliebt in die eiskalte Staatsanwältin, die mit dem Fall auf mehr als eine Weise zu tun hat. Diese Verfallenheit vernebelt ihm phasenweise den Blick und wirkt auch ein bisschen übertrieben und aufgesetzt für den sonst durchaus logisch und intelligent agierenden Rechtsanwalt. Dies trübte auch ein wenig den Genuss dieses sonst gut konstruierten Krimis. 

 Elisabeth Herrmann, Die letzte Instanz. Audio Media 2014.