Piranesi von Susanna Clarke ist ein ungewöhnlicher Roman. Der Protagonist Piranesi lebt in einem schier endlosen Gebäude mit vielen labyrinthartigen Räumen, Korridoren und Treppen. Überall stehen Statuen und im Erdgeschoss wogt der Ozean, der manchen Fluten auch die oberen Stockwerke erreicht. Piranesi erforscht das Haus und sammelt Informationen über die einzelnen Räume und Statuen. Er ernährt sich von dem, was ihm der Ozean gibt, und er schreibt Tagebuch. Manchmal trifft er auf Den Anderen, den einen anderen Menschen, von dem er glaubt, er lebe in weit entfernten anderen Sälen des Hauses. Während Piranesi die Gegebenheiten dieser Welt mit Naivität und Ruhe annimmt und liebt, wird schnell klar, dass Der Andere aus einer der unsrigen ähnlichen Welt stammen muss - mit einem Smartphone und Zugang zu allen erdenklichen Ressourcen. Er überträgt Piranesi Forschungsaufgaben, nimmt ihn ansonsten aber kaum wahr und beantwortet Fragen ausweichend. Als eine weitere Person im Haus auftaucht, wird auch Piranesi klar, dass nicht alles so ist, wie er es wahrnimmt. Anhand seiner früheren Tagebücher findet er heraus, dass er eigentlich ein anderer ist - der Ort hat ihn vergessen lassen, wer er war.
Obwohl Piranesi eigentlich ein Gefangener in dem Haus ist und
unfreiwillig dorthin gelangt ist, nimmt er die Schönheit und die Gaben
des Ortes dankbar an. Seine Verbundenheit, fast Symbiose, mit dem Haus
führt in ihm zu einer tiefen Zufriedenheit, die er nur ungern aufgibt,
um zu dem Leben in der realen Welt zurückzukehren.
In Piranesi spielt die Autorin mit Wahrnehmung und Realitäten, mit reicher Symbolik und Referenzen zu anderen literarischen und künstlerischen Werken, die man bei einem ersten Lesen vermutlich nicht alle erfassen kann, allen voran natürlich der Verweis auf den italienischen Kupferstecher Giovanni Batista Piranesi (1720-1778). Die Botschaft, die sich aber vornehmlich aufdrängt, ist die, die Schönheit und den Reichtum der Welt als Geschenk anzunehmen und zu achten.
“The Beauty of the House is immeasurable;
its Kindness infinite.”
Susanna Clarke, Piranesi. Karl Blessing Verlag, München 2020.
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