Natürlich geht es oft und detailliert um Computerspiele, von den 1990er Jahren bis heute - bestimmt ist es hilfreich, dazu ein gewisses Grundwissen und -interesse zu haben. Im Mittelpunkt der Geschichte steht aber die Freundschaft der beiden Protagonisten, zum Teil durchbrochen durch den Einfluss einiger Nebencharaktere. Um es vorweg zu nehmen: Ich bin mir nicht sicher, ob ich die beiden sonderlich mochte. Sie sind eher widersprüchliche Charaktere, die zwar oft denken, dass sie den anderen wirklich lieben, aber ihr Umgang miteinander ist oft geprägt von anderen Motiven, von Skepsis und Misstrauen. Besonders Sadie unterstellt Sam oft Egoismus, während sie gleichzeitig blind ist für seine persönlichen Schwierigkeiten. Er hingegen verpasst zahlreiche Möglichkeiten, sich zu öffnen und ehrlich zu sein. So sind die beiden eigentlich ständig im Konflikt und die Freundschaft funktioniert am besten auf der Ebene der gemeinsamen Arbeit an den Spielen, also auf einer virtuellen Ebene. Das wird besonders auf die Spitze getrieben, als im letzten Abschnitt Sam ein Multiplayer-Onlinegame so entwickelt, dass Sadie (mit der er gerade nicht mehr spricht) es sicherlich spielen wird, um dann online mit ihr unter anderer Identität eine Freundschaft zu pflegen. Sie kommt dahinter, aber ignoriert ihr eigenes Wissen noch für eine Weile, um die Freundschaft zu genießen. Dieser Teil ist anstrengerweise aus der Sicht der Spielavatare geschrieben.
Die Beziehung der beiden ist außerdem so belastet, weil ihnen abwechselnd oder gleichzeitig, verschiedene Schicksalsschläge zustoßen, mit denen meines Erachtens zu viele Problemfelder angerissen werden, die dann aber wenig ausgearbeitet oder bearbeitet werden. Hier nur einige Beispiele: chronische Schmerzen, Trauer, Missbrauch, kulturelle Ausgrenzung/Rassismus, Behinderung, Homophobie, Waffengewalt,...
Das Ende bleibt offen, man geht davon aus, dass Sam und Sadie beruflich wieder zueinander finden können, vielleicht auch wieder an ihre Freundschaft anknüpfen können, aber ob sie sich wirklich weiterentwickelt haben und authentischer und offener miteinander umgehen können, bleibt fraglich. Es ist also ein ziemlich langer Roman über die Entwicklung einer Freundschaft - eingebettet in die Welt des Gaming - mit vielen Hindernissen und ungewissem Fortgang. Ich war enttäuscht von diesem faden Ende, nachdem ich das erste Drittel des Romans erzählerisch ansprechend fand, und die Welt des Gaming übt keine solche Faszination auf mich aus, dass mich das Buch so richtig begeistern konnte.
Gabrielle Zevin, Morgen, morgen und wieder morgen. Eichborn, Köln 2023.
No comments:
Post a Comment