Thursday, April 21, 2016

Gard Sveen - Der letzte Pilger

Der Norweger Gard Sveen ist für seinen Roman Der letzte Pilger mehrfach ausgezeichnet worden, u.a. mit dem Glass Key Award, dem Preis für den besten skandinavischen Kriminalroman, dessen Preisträgerliste sich liest wie ein Who is who der erfolgreichen Krimis der letzten Jahrzehnte.
Dabei ist Der letzte Pilger kein einfacher Roman. Auf über 500 Seiten gewährt Sveen Einblicke in die norwegische Geschichte zur Zeit der deutschen Besatzung und die Wirren des Widerstands und lässt seinen Kommissar Tommy Bergmann gleichzeitig in einem aktuellen Mordfall ermitteln. 
Der Widerstandskämpfer Carl Oscar Krogh wurde umgebracht, nur kurze Zeit nachdem in einem Wald im Norden Oslos drei Leichen aus der Kriegszeit gefunden wurden. Bergmann vermutet einen Zusammenhang und beginnt lang vergessenen Fällen zu graben. 
In Rückblenden in die Jahre 1942-1945 erleben wir die Geschichte aus der Perspektive der damaligen Hauptpersonen mit all ihren verwirrenden Ereignissen und doppelten Böden. Denn niemand scheint hier wirklich der zu sein, der er vorgibt zu sein...
Tommy Bergmann ist ein weiterer tief verbitterter Ermittler mit einer unschönen Vergangenheit. Er war gewalttätig in seiner letzten Beziehung, der er immer noch nachtrauert, und das macht es ihm unmöglich, eine neue Beziehung einzugehen. Gleichzeitig ist er hartnäckig und fest entschlossen, die vielen lösen Fäden dieser alten Geschichte zu entwirren und den wahren Tathergang der alten Morde und des neuen Falles aufzudecken. 
In der anderen Erzählebene verdeutlicht Sveen sehr beeindruckend die Bedrohlichkeit der Lage. Die Protagonistin Agnes Gerner ist verdeckte Widerstandskämpferin und geht intensive Beziehungen zu den Nazis ein. Dabei ist sie stets hin- und hergerissen zwischen Todesangst und den emotionalen Verwirrungen, in den die Beziehungen zum Feind sie stürzen. Der Gedanke an die todbringende Ampulle in ihrer Handtasche lässt sie nie los, trotzdem will sie lieben und leben. 
Durch die emotionalere Darstellung ist es nicht verwunderlich, dass diese historische Ebene deutlich mehr Möglichkeiten zur Identifikation bietet. Bergmann hingegen ist ein Unsympathikus, der in seinen zwischenmenschlichen Beziehungen kontinuierlich versagt. 
Insgesamt ist Der letzte Pilger ein interessantes Buch, teils Krimi, teils historischer Roman, der vielleicht in einigen Passagen Längen aufweist. Man wünschte sich stellenweise ein rascheres Zusammenfügen der Zusammenhänge und die Vielzahl der Personen, die teils unter verschiedenen Namen auftauchen, erschweren manchmal die sofortige Einordnung in den Gesamtkontext, zumal die Wahrnehmung dieser Personen sich auf den Erzählebenen stark unterscheidet.
Die Auszeichnung des Romans ist aber auf jeden Fall nachvollziehbar, zumal ein Teil der norwegischen Geschichte thematisiert wird, der nicht - so der Autor in seinem Roman - lückenlos aufgeklärt wurde. 


 Gard Sveen, Der letzte Pilger. List, Berlin 2016.

Vielen Dank an Wasliestdu.de, die mir das Buch im Rahmen einer Leserunde haben zukommen lassen!

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