Dieses Buch hätte ich niemals in die Hand genommen, wenn A Monster Calls von Patrick Ness mich nicht so begeistert und berührt hätte. Die Covergestaltung ist wenig ansprechend, der Titel nichtssagend, außerdem ist Science Fiction kein Genre, das ich öfter auswähle.
New World - Die Flucht ist der erste Band einer Jugendbuchreihe. New World, das ist ein ferner, aber erdenähnlicher Planet, auf dem Menschen sich in der Hoffnung auf ein neues friedvolles Leben angesiedelt haben. Doch leider hat sich die Hoffnung nicht erfüllt - ein Virus hat alle Männer befallen, jeder kann ihre Gedanken hören, der Lärm treibt viele an den Rand des Wahnsinns, nichts bleibt geheim, so meint man. Der 13jährige Todd wächst ohne Mutter auf, denn in seinem ganzen Heimatdorf Prentisstown gibt es keine Frauen mehr, auch daran ist der Virus schuld. Da er der letzte Junge seines Dorfes ist, der noch nicht 14 und damit erwachsen ist, verbringt er viel Zeit allein bzw. mit seinem Hund Manchee. Auch dessen (eher schlichte) Gedanken kann jeder hören, auch die der Eichhörnchen, Schafe oder Krokodile. Es ist eine lärmende Welt, in der sich Todd bewegt - als er eines Tages plötzlich auf eine Stille trifft. Ein Fleck des Schweigens, der ihn zutiefst beunruhigt - noch mehr, als er herausfindet, dass das Schweigen von einem Mädchen ausgeht!
Doch er hat nicht lange Zeit, sich von dieser Entdeckung zu erholen, denn natürlich kann er seine Entdeckung nicht verbergen, das Misstrauen der Männer von Prentisstown ist groß und sie wollen aus Todd herauskriegen, was genau er gesehen hat. Die Reaktion seiner zwei Ziehväter erschreckt ihn, denn sie schicken ihn mit einem gepackten Rucksack fort - er soll in den nächsten Ort fliehen, in dem seit Jahren niemand mehr war. Kurz nach seinem eiligen Aufbruch trifft er erneut auf das Mädchen, Viola, und als sie beide von Aaron, dem gewaltbereiten, wahnsinnigen Priester, bedroht werden, entscheidet er sich, ihr zu helfen.
Was dann folgt, ist eine lange und abenteuerliche Flucht, dessen Ziel Haven ist, dem Hauptort auf New World. Die Verfolger aus Prentisstown sind ihnen dicht auf den Versen und die Menschen, auf die sie treffen, sind misstrauisch den Fremden gegenüber. Nur sehr langsam entdecken Todd und Viola, dass alles, was Todd bisher über sein Heimatdorf zu wissen glaubte, nicht die Wahrheit ist und es beginnt ein schwerer Prozess und ein Kampf um gegenseitiges Vertrauen und die eigene Identität.
Ness wählt für seinen Roman die Perspektive eines Ich-Erzählers. Diese jedoch trotzdem etwas distanziert, denn der für diese Perspektive typische Stream-of-Consciousness, der ja dem Gedankenlärm entsprechen müsste, ist deutlich gebremst, man erfährt eben nicht alles direkt, sondern es wirkt eher wie ein Er-Erzähler. Trotzdem werden die inneren Konflikte Todds deutlich, von einem naiven und etwas quengeligen Teenager entwickelt er sich in raschem Tempo zu einer reflektierenden, sich und andere hinterfragenden Persönlichkeit. Seine Entwicklung entsteht aus der Beziehung zu Viola, die ihn durch ihre Gedankenstille dazu zwingt, nachzudenken, Menschen wirklich wahrzunehmen und ihre Bedürfnisse zu erkennen. Ein weiterer, unerwartet starker Charakter ist der zunächst als schlicht gezeichnete Hund Manchee, der aber durch seine bedingungslose Freundschaft und Freundlichkeit auch zur Messlatte für Todds eigenes Verhalten wird.
Vielleicht könnte man argumentieren, dass die Flucht auch auf 100-150 Seiten weniger gut hätte dargestellt werden können, doch das Erzähltempo ist dennoch zügig, Langeweile kommt nicht auf und die Charaktere und ihre Beziehung entwickeln sich kontinuierlich. Der Band endet mit einem fürchterlichen Cliffhanger, mehr sei nicht gesagt - das Lesen des zweiten Bandes ist im Grunde unvermeidlich.
Patrick Ness hat mit New World ein interessantes Setting geschaffen, das viele grundlegende und philosophische Fragen über das Menschsein und die eigene Identität stellt.
Patrick Ness, New World - Die Flucht. Ravensburger 2009.
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