Rolf Lapperts
Nach Hause schwimmen stand
2008 auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises. Deswegen, und auch weil mir Lapperts Jugendroman
Pampa Blues gut gefallen hatte, waren meine Erwartungen an den Roman hoch.
Es beginnt auch vielversprechend - ein kleiner Knirps namens Wilbur, dessen tragischer Start ins Leben von skurillen Schicksalsschlägen nur so wimmelt. Die ihn umgebenden Menschen sind allesamt auch schräg oder gar versehrt, haben ihre eigene schwere Vergangenheit und kämpfen mit ihren Dämonen. Keine gesunde Umgebung für einen Heranwachsenden, der aus den USA nach Irland zu den Großeltern kommt. Stabilität und Zuneigung erfährt er immer nur für kurze Phasen seines Lebens, bis ihn der nächste Schlag, der nächste Todesfall in die nächste schwere und einsame Zeit versetzt. Selten wird er aktiv, um an seiner Situation etwas zu ändern, ausgenommen die Suche nach seinem Vater, die ihn aber lange nur in weitere Sackgassen führt. Stoisch erträgt er seine Lebenssituationen und die Menschen um ihn herum, baut dabei kaum Beziehungen auf. Der Leser hingegen erfährt alles über die Hintergründe und emotionalen Zustand dieser Nebencharaktere, denen Wilbur begegnet. Einige dieser Charaktere hätten vermutlich ihren eigenen Roman füllen können - die Zusammenhänge zur Hauptperson bleiben aber lose.
Um Wilburs Geschichte zu erzählen, legt der Autor zwei parallele Erzählstränge an: Die Kapitel des einen sind schlicht nummeriert, Wilbur erzählt als Ich-Erzähler beginnend mit dem Moment, als er in der größten Krisensituation seines kurzen Lebens beinahe ertrinkt. Die Kapitel des anderen sind betitelt mit den Jahreszahlen und Titeln von Bruce Willis Filmen (1980 The First Deadly Sin bis 2000 Unbreakable), in denen ein auktorialer Erzähler Wilburs Lebensgeschichte von seiner Geburt an berichtet. Das Ende dieses Erzählstranges liegt zeitlich da, wo der andere anfängt. Man würde also eine Chronologie erreichen, wenn man erst alle mit Filmtiteln überschriebenen Kapitel liest und danach die durchnummerierten... Das ist erzählerisch sicherlich ein Clou, im Lesefluss zunächst etwas unbequem, ebenso wie die unterschiedlichen Erzählperspektiven. In der Konstruktion und in den Querverweisen verschiedener Lebenssituationen liegt sicherlich eine Stärke des Romans.
Nach Hause schwimmen ist mit über 500 Seiten kein kurzes Werk. Die Hauptfigur erlebt in diesem Rahmen eine Unmenge an Schicksalsschlägen und begegnet einer Reihe von bemerkenswerten Charakteren. Viele davon sind ihm zugetan, wollen ihn unterstützen und fördern. Er selbst tut kaum etwas, um diese Zuneigung zu rechtfertigen. Nur zu wenigen baut er eine wirkliche emotionale Bindung auf und selbst bei diesen bleiben die Gefühle unklar, undefiniert und unausgesprochen. Er bleibt in gewisser Weise ein kleiner verlassener Junge ohne einen Platz in der Welt - aber nur, weil er sich nicht bewegt, sich nicht erkennbar entwickelt - und das ist etwas, dass ich auf über 500 Seiten von einem Protagonisten durchaus erwarten würde und was den Nebencharakteren stärker zuteil wird als Wilbur selbst.
Vor diesem Hintergrund ist das Ende des Roman, das nur wenige Seiten umfassende Kapitel 14, kaum nachvollziehbar. Alles ist eitel Sonnenschein, die Charaktere alle fröhlich und glücklich vereint in einem Haus in Irland, das bis dato für Wilbur ein Symbol des Unglücks war. Man wünscht es den Figuren, wünscht es vielleicht sogar Wilbur, der mich aber vergleichsweise wenig berührt hat, aber dennoch weiß man nicht, wie dieses Glück so plötzlich vom Himmel fallen konnte. Ähnlich wie ich es bei Kriminalromanen nicht leiden kann, wenn Kommissar Zufall / Deus Ex Machina die Lösung des Falles herbeiführt, scheint mir dieses Romanende an den Haaren herbeigezogen und zu einfach.
Rolf Lappert, Nach Hause schwimmen. Hanser, München 2008.