Irgendwie sitzt mir Jesper Juuls Buch Aggression quer im Kopf. Vieles von dem, was er beschreibt und sagt, kann ich nachvollziehen. Aggression ist deutlich zu unterscheiden von Gewalt, Aggression ist Ausdruck von einem Mangel oder einem Problem, Aggression kann notwendig sein auf dem Weg zur persönlichen Entwicklung, vor allem bei Kindern, die ihren Emotionen und Bedürfnissen in gewisser Weise elementar ausgeliefert sind. So ist sie oft Symptom für etwas anderes, und man sollte dem Kind empathisch begegnen, um zum eigentlich Kern des Problems vorzudringen und etwas zu verändern. Reine Symptombekämpfung, also das Verbot von Aggression, ist nicht zielführend.
Die Tabuisierung eines Gefühls, dass doch zur elementaren Gefühlspalettte gehört, hat negative Auswirkung auf das Selbstwertgefühl und behindert Kinder dabei, einen sinnvollen Umgang mit Aggression zu erlernen.
Juul sieht vor allem in staatlichen Institutionen wie Kindertagesstätten und Schulen eine stark moralischen Negierung von Aggression - sie wird schlicht verboten und unterdrückt. Darüber hinaus kritisiert er energisch den Umgang der Erzieher und Lehrer mit dem Problem und stellt diese als roboterhafte Maschinen in einem schlechten System dar. Empathie komme nicht vor, auf die Kinder und ihre Emotionen werde nicht ausreichend eingegangen, sodass die Kinder auch nicht lernen könnten.
Ich kann einen Teil seiner Kritik nachvollziehen: Natürlich wird aggressives Verhalten unterdrückt, natürlich werden Strafen und/oder scharfe Worte gefunden, wenn sich ein Kind aggressiv oder sogar gewalttätig zeigt. Und ja, dies mag in manchen Fällen auch eine Aggression oder Gewalt darstellen.
Verwehren möchte ich mich aber dagegen, dass Pädagogen sich grundsätzlich nicht bemühen, auch aggressiveb Kinder in empathischer Weise zu begegnen und nach den Gründen dieses Verhaltens zu suchen. Das mag in vielen Unterrichtsbegegenheiten nicht geschehen, das ist dem Alltag und dem notwendigen Ablauf von Unterricht geschuldet. Aber ist Lehrerarbeit, wie ich sie verstehe, immer Beziehungsarbeit, die auch von einem Großteil als solche wahrgenommen wird. Jeweils entsprechend den persönlichen Möglichkeiten der Lehrenden. Juul nimmt eine sehr therapeutische Perpektive ein, vergisst dabei aber, dass die Ausbildung der Erzieher und Lehrer einen solchen Bereich gar nicht umfasst. Natürlich, um empathisch zu handeln und auf ein Kind offen zuzugehen, brauche ich keine therapeutische Ausbildung. Aber die Momente, in denen Aggression offen ausbricht, bedeuten auch für Pädogogen eine Erhöhung des Stresspegels und nicht immer und jeder ist in diesem Bereich gleichermaßen belastbar. Ein professionellerer Umgang wäre wünschenswert, den wünsche ich mir für jede und jeden in diesem Beruf, aber der fällt auch nicht vom Himmel.
So ist es gut und richtig, dass Juul auf die Problematik in deutlicher und klarer Form aufmerksam macht - eine einfache und praktikable Lösung, vor allem vor den Paradigmenwechsel, der dafür in allen Pädagogenköpfen und Elternköpfen vonstatten gehen müsste, hat er leider nicht. Aber ich nehme einige wertvolle Denkanstöße mit und werde vielleicht anders hinschauen bei aggressivem Verhalten.
Jesper Juul, Aggression. Warum sie für uns und unsere Kinder notwendig ist. Argon 2013.
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