Monday, May 24, 2021

Elena Ferrante - Die Geschichte eines neuen Namens

Nicht ganz zwei Jahre ist es her, dass ich den ersten Band von Elena Ferrantes neopolitanischer Triologie - Meine geniale Freundin - beendet habe. Trotz dieser langen Pause habe ich mich schnell wieder in die komplizierte Beziehung der zwei Freundinnen Lenù und Lila eingefunden. Letztere ist frisch verheiratet, die Ich-Erzählerin noch auf der Suche nach ihrem Platz im Leben. Will sie auch heiraten? Das Abitur machen? Weiter studieren? Aus dem vertrauten Viertel wegziehen?
Lilas Leben ist durch die Hochzeit nicht einfacher geworden - schon in der Hochzeitsnacht begegnet sie dem Grauen - der gewalttätigen, rücksichtslosen Seite ihres Mannes. Die Konflikte sind wegen ihres wachen, nach Herausforderungen, Neuem und Freiheit strebenden Geistes vorprogrammiert, ihr Unglück zwangsläufig.
Lenù hingegen wirkt ratlos und rastlos, kennt ihre Ziele selbst kaum, außer dem einem, nämlich irgendwie besser, glücklicher, erfolgreicher als ihre Freundin sein zu wollen.

Nebenbei zeigt der Roman auch noch gesellschaftliche Veränderungen auf, die selbst vor Rione mit seinen konservativen Strukturen nicht haltmachen. Es sind die 60er und 70er Jahre, die Rolle der Frau verändert sich, neue berufliche Möglichkeiten entstehen, politische Umwälzungen finden statt. Dennoch bleibt Die Geschichte eines neuen Namens beim Alltäglichen, schildert die kleinen und größeren Ereignisse in dem kleinen Personenkreis, Ungerechtigkeiten, Eifersüchteleien, Verrat und Enttäuschungen. Vielschichtig dagegen sind die Bedeutungsebenen, auf denen man die Beziehungen und auch die Gedankengänge der Ich-Erzählerin deuten kann, nichts ist hier eindeutig. Die Art und Weise wie selbst kleine, unscheinbare Ereignisse geschildert werden, hebt diesen Roman bzw. die Reihe von anderen des Genres deutlich ab. Die Autorin schafft es, einen hineinzuziehen in diese kleine Gedankenwelt, die sich nur langsam den größeren Zusammenhängen, der Welt und dem Verständnis der eigenen Empfindungen öffnet. 

Elena Ferrante, Die Geschichte eines neuen Namens. Hörverlag 2017.


Tuesday, May 18, 2021

Arnaldur Indridason - Graue Nächte

Ein weiterer Fall für Kommissar Flóvent und seinen Kollegen Thorson von der Militärpolizei. Es ist 1943 und die Amerikaner haben Island aus strategischen Zwecken besetzt. Ein Toter am Strand, gekleidet in amerikanischer Uniform, entpuppt sich als Mordopfer. Eine Frau, die Kontakt zu Soldaten pflegte, ist verschwunden. Niemand will über die beteiligten Angehörigen des Militärs sprechen und nach einem Mordanschlag auf Thorson ist klar, dass hier etwas vertuscht werden soll...

Parallel dazu erzählt Graue Nächte von einer ungewöhnlichen, bereits etwas zurückliegenden Fährüberfahrt aus Dänemark über Norwegen nach Island, mit der isländische Staatsangehörige während der deutschen Besatzung Dänemarks wieder nach Hause gebracht wurden. Die Affäre einer Mitreisenden hat dramatische Folgen, ihr Verlobter wird von den Nazis ermordet... nach und nach findet sie heraus, wie es dazu kam. 

Nach und nach verwebt Indridason seine beiden Geschichten und Zeitebenen und klärt das Verschwinden und den Tod der Opfer auf. Das tut er im Grunde auf recht elegante Art und Weise, die Geschichte sind in sich stimmig und die Ermittlungen funktionieren. Die Gesamtstimmung ist düster und bedrohlich, die Konflikte zwischen der isländischen Bevölkerung und den amerikanischen Besatzern sind immer wieder Thema und kein kleines Problem. Dem gegenüber steht die Freundschaft der beiden Ermittler, die sich darüber erhebt. Dennoch hat mich dieser Krimi nicht so recht gepackt, ich habe ihn aber gern gelesen.

Arnaldur Indridason, Graue Nächte. Bastei 2018.

 

 

Sunday, May 09, 2021

Juli Zeh - Nullzeit

In Nullzeit von Juli Zeh treffen wir gleich auf zwei sehr unzuverlässige Erzähler, die uns beide ihre Sicht auf die Ereignisse einiger weniger Tage auf der Insel Lanzarote zu schildern. 

Jola ist als Tauchschülerin auf die Insel gekommen, sie ist eine mittelmäßig erfolgreiche Serienschauspielerin, die nun für eine Hauptrolle in einem Tauchfilm trainieren will. Sie ist mit ihrem Lebensgefährten Theo angereist (Autor, älter als sie, wird von ihr der "alte Mann" genannt). Glaubt man ihrem Tagebuch, so ist Theo ihr gegenüber übergriffig und gewalttätig, während sie sich in den Tauchlehrer Sven verliebt und von ihm verführt wird.
Sven hat Deutschland verlassen, um auf Lanzarote eine exklusive Tauchschule zu eröffnen. Scheinbar neutral berichtet er von den Zwischenfällen, die er in der Beziehung von Jola und Theo beobachtet, wird aber immer mehr hineingezogen und erliegt zudem den Flirtattacken Jolas, die ihn für ihre Machtspiele missbraucht. Erst am Ende wird klar, dass auch er einen Zweck mit seinem Bericht verfolgt, da er juristische Konsequenzen fürchtet und dies seine Darstellung massiv beeinflusst.

Man muss dysfunktionale, ja, unsympatische Charaktere mögen, um sich mit Nullzeit anzufreunden. Während man anfangs dem ruhigen Erzählton Svens noch folgen möchte, disqualifiziert sich Jola schon früh, man merkt sofort, dass sie ganz und gar keine normalen Reaktionen zeigt und zweifelhafte Ziele verfolgt. Doch je mehr man von Svens Vergangenheit und seiner Beziehung zu der Frau erfährt, mit der er zusammenlebt, umso skeptischer und ablehnender wird man ihm gegenüber. Er wird zwar seinerseits von Jola für ihre Machtspiele missbraucht, andererseits ist sein Verhalten alles andere als moralisch integer. So ist dieses Spiel mit der Wahrheit und Wahrnehmung interessant und erzählerisch geschickt konstruiert, der Plot jedoch lässt zu wünschen übrig. Wenn man Nullzeit als Psychothriller liest, dann funktioniert zwar in den ersten zwei Dritteln die Eskalation der Ereignisse von Tag zu Tag, der Showdown und seine Folgen hingegen bleiben unglaubwürdig.
So konnte mich der Roman nicht wirklich überzeugen, er hat seine erzählerischen Stärken, aber eben auch diese durch und durch unsympathischen Protagonisten. Das ist Absicht, ja, aber ich muss es ja nicht mögen!
Die Lesung durch Britta Steffenhagen und Thomas Sarbacher hingegen hat mir gut gefallen.

Juli Zeh, Nullzeit. DAV 2012.


Sunday, May 02, 2021

Jacques Berndorf - Eifel-Schnee

Zu manchen Krimireihen kehre ich zurück wie zu alten Freunden... Die Eifel-Krimis von Jacques Berndorf gehören dazu. 

Eifel-Schnee ist unter den ersten zehn Bänden der Reihe, Baumeister ist noch mit Dinah zusammen, Rodenstock gerade erst pensioniert und er lernt in diesem Band Emma kennen, seine Zukünftige.
Es beginnt - wie fast immer - beschaulich, Baumeister ist zufrieden mit Katzen, Pfeife und Musik am Heiligabend in seinem Häuschen. Der Anruf den kleinen Schappi erreicht ihn mitten in der Nacht, dieser erzählt von einer brennenden Scheune und dem Tod seines Bruders Ole und dessen Freundin Betty. Natürlich handelt es sich um Mord und Baumeister stürzt sich kopfüber in die Ermittlungen, die ihn schnell ins Drogenmilieu der Eifel führen. Mit der ihm eigenen Hartnäckigkeit befragt er Bekannte und Freunde der Toten und vervollständigt so nach und nach sein Bild von den Ereignissen. Die Hintermänner sitzen in den Niederlanden (wo er und Rodenstock auf Emma treffen) und das Team Baumeister und Co. muss sich anstrengen, gegen deren Übermacht anzukommen und den Verantwortlichen in eine Falle zu locken. 

Ich mag Krimis mit ordentlicher Recherche, in denen sich die Puzzleteile nach und nach zusammenfügen, so dass die Auflösung nicht plötzlich vom Himmel fallen muss. Ich mag die leicht schrägen Charaktere, die Jacques Berndorf in diese besondere Landschaft setzt. Dass er selbst vorliest mit seiner sonoren Rauchstimme, ist auf jeden Fall auch ein Plus. Deswegen immer mal wieder Eifel-Krimi.

Jacques Berndorf, Eifel-Schnee. Radioropa 2008.