Elena Ferrante ist eine hochgelobte und erfolgreiche italienische Autorin, die beschlossen hat, unter Pseudonym zu veröffentlichen und anonym zu bleiben. Meine geniale Freundin ist der erste Band der neapolitanischen Saga und beginnt die Geschichte in den 50er Jahren in einem armen Vorort von Neapel.
Die Geschichte wird erzählt von Lenù, sie schildert ihr Leben in Bezug auf die komplizierte Beziehung zu ihrer Freundin Lila. Beide sind intelligent und stammen aus armen und bildungsfernen Familien. Die Kindheit ist geprägt durch die Ereignisse der Vergangenheit: Krieg, NS, Faschismus, Kommunismus, Schwarzhandel, ... Diese Dinge beeinflussen das Verhalten der Erwachsenen, die auf verschiedenen Seiten standen, das oft gewalttätig ist, ohne das Konflikte gelöst werden. Den Mädchen sind die Ursprünge dieser Gewalt zunächst nicht bewusst, sie nehmen diese einfach hin. Zentrale Problematik in ihrem Leben ist Bildung. Es entsteht schnell eine Art Wettbewerb zwischen ihnen, wobei unklar bleibt, ob dies nur von Lenù so wahrgenommen wird, da wir von Lilas Sichtweise nur das erfahren, was Lenù als Erzählerin wahrnimmt und deutet. Schrittweise sammeln beide Erkenntnisse über die sozialen und psychologischen Zusammenhänge bei den Menschen um sie herum.
Lenù schafft es, ihre Bildung auszubauen, sie geht auf die Mittelschule, dann aufs Gymnasium, während die egozentrische Lila andere Wege geht bzw. gezwungen ist, in der Schusterwerkstatt der Familie mitzuarbeiten. Dennoch will auch sie heraus aus ihrer Situation, aus der Armut und der sozialen Begrenztheit. So will sie den wohlhabendsten Mann des Viertels heiraten trotz der moralischen Bedenken, die sie eigentlich hegt, da man sich fragen muss, woher dessen Geld stammt.
Währenddessen fühlt sich Lenù immer fremder, weil sie niemanden hat, mit dem sie auf gleicher Ebene reden kann, und auch das Thema Liebe ist befremdlich, da sie zunehmend zweifelt, welche Gefühle (bei sich und bei Lila) echt sind und welche nur erdacht oder herbeigeredet.
Insgesamt beinhaltet Meine geniale Freundin einige beeindruckende und zum Teil skurrile Szenen und Gedankengänge. Das Setting im Italien der Nachkriegszeit ist ungewohnt und daher von Interesse. Die subjektive Erzählperspektive ist zum Teil schwierig und erschwert die Identifikation.
Die anfangs eingeführte Rahmenstory der Saga (Lila ist verschwunden...) wird in diesem Band nicht wieder aufgegriffen, am Ende steht ein etwas zu gewollter, zweifelhafter Cliffhanger, der aber vielleicht dennoch seinen Zweck erfüllen wird.
Elena Ferrante, Meine geniale Freundin. Suhrkamp, Berlin 2016.
No comments:
Post a Comment