Die englischen Jugendfreunde James und Bryan, Flieger der Royal Air Force, stürzen 1944 bei einem Erkundungsflug über Deutschland ab. Auf ihrer Flucht landen sie schließlich in einem deutschen Lazarett für Nervenkranke, dem Alphabethaus (benannt nach den Buchstabenkennungen der Krankheiten), wo sie psychische Erkrankungen vortäuschen müssen. Neben den drastischen Behandlungsmethoden mit unerprobten Medikamenten und Elektroschocks werden sie auch noch von deutschen SS-Offizieren bedroht, die sich ebenfalls als Simulanten dort vor dem Frontgeschehen verstecken. Gleichzeitig schweben sie in ständiger Gefahr als Engländer entdeckt zu werden. Die Extremsituation verlangt James und Bryan das Äußerste ab, sie versuchen sehr unterschiedlich mit der Situation zurechtzukommen. James, der im Gegensatz zu Bryan Deutsch verstehen kann, versinkt in großer Furcht vor einer Gruppe von SS-Offizieren, die ihn bedrohen, und wird apathisch. Bryan reagiert furchtloser und ist risikobereiter, sodass ihm schließlich die Flucht gelingt, er dabei aber James zurücklassen muss.
Der Rest der Geschichte spielt 1972. Bryan führt in England ein erfolgreiches Leben, konnte aber den Verlust bzw. die Ungewissheit über James' Verbleib nie verwinden. Alle Recherchen verliefen ergebnislos. Als er eine berufliche Eingeladung erhält, reist er schließlich das erste Mal wieder nach Deutschland, wo sich die Dinge um die Gruppe der ehemaligen SS-Offiziere und James dramatisch entwickeln.
Der Schluss des Geschehens soll hier nicht vorweggenommen werden, denn Jussi Adler Olsen ist hier durchaus eine spannende Geschichte gelungen. Im Nachwort des Buches, das weder ein Kriegsroman noch ein Krimi ist, erklärt der Autor, dass Teile des Romans in seiner persönlichen Geschichte begründet liegen, da sein Vater Psychiater war und er als Kind mitbekommt, wie psychische Kranke in den 50er und 60er Jahren behandelt wurden. Dabei beschäftigte ihn, ob diese Menschen tatsächlich alle krank sind oder ob sich Simulanten unter ihnen befanden. Die Frage, ob man als gesunder Mensch in dieser Umgebung überleben und gesund bleiben kann, war der erste Grundstein zu seinem Roman.
Diesen plante Adler Olsen bereits ab 1987, er erschien 1997.
Inzwischen ist der Autor in allen Bestsellerlisten, Erbarmen, Schändung und Erlösung, die ersten drei Bände der Reihe um Carl Mørck sind äußerst erfolgreich, mit Spannung wird Band vier erwartet (erscheint am 24. diesen Monats). Die Gemüter und Meinungen gehen auseinander bei Das Alphabethaus. Begeisterung und Enttäuschung halten sich die Waage. Ich glaube, der Roman ist nicht das, was man nach den Carl-Mørck-Geschichten vom Autor erwartet hat. Zu berücksichtigen ist aber dabei, dass dies sein Erstlingswerk ist, man darf durchaus erwarten, dass ein Autor sich bezüglich seines Stils und seiner Erzählweise verbessert (überragend ist Das Alphabethaus da vermutlich wirklich nicht, sofern man das von einer Übersetzung schließen darf). Es ist ein komplett anderes Genre, in dem er sich hier bewegt, viele der Leser scheinen dennoch einen Thriller erwartet zu haben, wobei sich die Bücher in Bezug auf psychische Brutalität durchaus vergleichen lassen.
Es ist ein spannendes und ungewöhnliches Thema, das Adler Olsen durchaus flüssig und eben auch spannend erzählt.Über die Plausibilität der Geschichte lässt sich an einigen Stellen streiten, mir ging die unkalkulierbare Krankheit/Gesundheit von James gegen den Strich, die aber gleichzeitig der Knackpunkt der Geschichte ist: Jemand lässt sich fallen in die Krankheit, flüchtet in Apathie und entzieht sich dadurch der schrecklichen Realität, um am Leben zu bleiben, übernimmt dadurch aber auch keinerlei Verantwortung für das eigene Leben und das der übrigen Beteiligten. Nicht-Handeln und Passivität als Schuldmoment - durchaus etwas, über das sich jeder Gedanken machen sollte, sei es in Situationen für Zivilcourage oder in Fragen der Umwelt und des gesellschaftlichen Miteinanders.
Jussi Adler Olsen, Das Alphabethaus. dtv, München 2012.
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