Hakan Nessers Himmel über London ist kein Thriller, sondern ein experimenteller Roman, der mit dem Leser, dem Erzähler und dem Erzählten spielt. Dabei wechselt der Autor zwischen Perspektiven verschiedener Personen, Zeitebenen und Orte.
Wie es der Zufall (?) wollte, hatte ich parallel Wenn ein Reisender in einer Winternacht von Italo Calvino zu lesen begonnen (und zu diesem Zeitpunkt noch nicht beendet). Diesem Roman liegt das Verwirrspiel und der Dialog mit dem Leser elementar zugrunde, es besteht praktisch aus Romananfängen, Reflexion über das Schreiben und Lesen und dem verzweifelnden Leser, der keine Geschichte zuende lesen kann. Ich habe den Verdacht, auch Nesser hat Calvino gelesen. So tauchen Personen bzw. Namen in verschiedenen Ebenen auf, sind identisch oder auch nicht, haben Bedeutungsbezug oder auch nicht. Dabei wird Himmel über London stets immer verworrener. Die zuerst etablierte Handlungsebene um einen sterbenskranken Mann, der seine Familie in London zu einem letzten Treffen zusammenruft und dabei in Rückblenden über seine Lebensgeschichte nachdenkt, erweist sich nicht als die wirklich, sondern ist vermutlich nur die erdachte Romanhandlung eines schwedischen Schriftstellers namens Lars Gustav Selén. Aber irgend etwas stimmt nicht, die Figuren sind zu flexibel, haben doch ein Eigenleben, je näher Selén ihnen in London kommt...
Das lang geplante Treffen der Familie auf den letzten Seiten ist dann aber nicht so spektakulär wie erwartet, die philosophischen Zwickmühlen und die Spannung zwischen Erzähler und Erzähltem werden nicht aufgelöst (oder ich habe die Auflösung nicht verstanden).
Der Roman ist sperrig und ungewöhnlich, dadurch aber auch literarisch interessant. Nessers Schreibstil durchweg angenehm, auch wenn es langatmige Passagen gab und der Roman sicherlich auch einige Wendungen und Rückblicke weniger vertragen hätte. Für Leser, die den Krimiautor Nesser schätzen, muss es heißen "Finger weg", denn unter leichte Kost und unterhaltend kann man Himmel über London nicht einordnen.
Hakan Nesser, Himmel über London. btb, München 2013.
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