Friday, May 29, 2020

Ken Kesey - Einer flog über das Kuckucksnest


Ken Kesey (1935-2001) veröffentlichte Einer flog über das Kuckucksnest im Jahr 1963. In dem Roman kommen seine persönlichen Erfahrungen mit halluzinogen Drogen (für klinische Studien) und seine Arbeitserfahrungen in Kliniken mit psychisch kranken Menschen zum Tragen.

Einer flog über das Kuckucksnest wird erzählt aus der Perspektive eines Patienten indianischer Herkunft in einer Anstalt für psychisch Kranke. Er gehört augenscheinlich zu den chronischen Fällen, ohne Aussicht auf Heilung, durch Krankheit oder Medikamente in einem Dämmerzustand befindlich. Alle um ihn herum glauben, er sei taubstumm, doch dies täuscht er nur vor, ebenso wie seinen eigentlich geistigen Zustand.
Die Situation auf der Station ändert sich maßgeblich mit der Ankunft eines neuen Patienten namens McMurphy, der nach einer Verurteilung wegen Körperverletzung und Betrugs dem Straflager entkommen will, indem er sich in die Klinik einweisen lässt. Vom ersten Tag an untergräbt er den stark reglementierten Alltag und vor allem die Herrschaft der Schwester Ratched und löst damit massive Veränderungen aus, sowohl im positiven als auch im negativen Sinne. 
Der Roman schildert intensiv die absolute Machtausübung der Autoritäten gegenüber den Individuen der Klinik. Es wird deutlich, dass psychische Krankheit schwer zu definieren ist, die Grenzen sind fließend, Medikamentierung und Therapieoptionen dieser Zeit scheinen mehr willkürliche Folter als Mittel zur Heilung zu sein. Und auch die Heilung selbst muss relativiert werden, wenn sie nur als absolute Anpassung an die gängige gesellschaftliche Norm definiert wird. 
McMurphy macht den Insassen klar, dass es innerhalb der Klinik nur die Wahl zwischen Unterwerfung oder bei Widerstand das Erdulden von Strafe gibt, da ersteres für ihn nicht in Frage kommt, geht er große Risiken ein, um das System auf die Probe zu stellen. Dadurch erreicht er bei einigen der Patienten eine innere und äußere Veränderung, insbesondere beim Erzähler selbst, der den Weg zurück ins Leben außerhalb der Klinik wagt. 
Erzählerisch interessant sind die verschwimmenden Grenzen von Wirklichkeit, Halluzinationen, Erinnerungen und Visionen. Der Erzähler ist sich seiner eigenen Unzuverlässigkeit hierbei bewusst, er weiß, dass seine psychischen Probleme und die Medikamente ihn beeinflussen und er nicht immer eine verlässliche Wahrnehmung der Welt um ihn herum hat. Dabei stellt sich die Frage, was denn überhaupt eine verlässliche Wahrnehmung wäre. Was ist real, was nicht? 
Und während über die unmenschliche und unzulängliche Behandlung psychisch Kranker in den 60er Jahren nicht mehr viel mehr zu sagen ist, so ist die Frage, was normal, gesund oder konform ist, nach wie vor aktuell.

Ken Kesey, Einer flog über das Kuckucksnest. Rowohlt, Reinbek 1983.





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