Das Setting ist der realen Welt recht ähnlich in Bezug auf Technologie und auf die generellen sozialen Gepflogenheiten. Jedoch gibt es neben der normalen Gesetzgebung auch noch eine moralische Überwachung: Man muss sich perfekt und integer verhalten, lügt man, verhält sich "inakzeptabel" oder gesellschaftlich illoyal, so kann einen die Gilde verhaften und verurteilen. Die Strafe ist immer Brandmarkung (ja, so mit Brandeisen und einem dicken F für Flawed oder fehlerhaft!) und lebenslängliche gesellschaftliche Ächtung. Diese Regeln - erschaffen, um einen hohen moralischen Standard zu kreieren - führen zu Angst und auch zu Lügen und zu einer Überheblichkeit der "Perfekten" gegenüber den "Fehlerhaften".
Die Protagonistin Celestine gehört mit ihrer Familie zu den perfekten Exemplaren des Systems. Sie ist glücklich und kennt scheinbar keine Probleme. Eines Abends erlebt sie, wie eine Frau in der Nachbarschaft von den Abgesandten der Gilde verhaftet wird - eine Frau, bei der sie sich beim besten Willen nicht vorstellen kann, was sie falsch gemacht haben kann. Erst ab diesem Moment setzt sich Celestine mit dem System, in dem sie lebt, auseinander. Auf einer Busfahrt (Rosa Parks Bezug vermutlich beabsichtigt) fällt sie dann plötzlich aus der Rolle: Sie hilft spontan einem kranken alten Mann, der aber ein Fehlerhafter ist und dem sie laut Gesetz nicht helfen darf. Sie wird verhaftet, verurteilt und mehrfach gebrandmarkt. Der Richter, eigentlich ein Freund ihrer Familie, wird wütend, weil sie sich nicht so verhält, wie er es wünscht, und straft sie mit ungewöhnlicher Härte.
Nach dem ersten Schock und den körperlichen Schmerzen muss sich Celestine nun an neue Regeln gewöhnen, aber auch an das intensive Interesse von Medien, politischen Gruppen und hassenden Mitschülern. Nur sehr langsam verliert sie ihre Naivität und Vertrauensseligkeit und beginnt, über das System und ihre Rolle an dem wachsenden Widerstand gegen die absurde Moralität und Härte der Gilde nachzudenken.
Ich habe schon schlechter konstruierte Dystopien gelesen, allerdings auch bessere. Ich ärgere mich immer über diese naiven Mädchen, die keine Ahnung von gar nichts haben und höchst egozentrisch und unsensibel durchs Leben laufen, um dann plötzlich zu gesellschaftlichen Umstürzlerinnen wider Willen zu werden. Celestine gehört zum Teil auch in diese Kategorie Protagonistin. Die weiteren Charaktere werden im Vergleich eher wenig entwickelt, hätten aber vielleicht Potenzial gehabt, wie beispielsweise Celestines glatt gebürsteter Freund Art, ihre schwer zu durchschauende Schwester Juniper oder auch Celestines Großvater. Nun, vielleicht ergibt sich dafür ja noch Platz im Band zwei. Nahezu völlig unsinnig für den Plot ist hingegen ein junger Mann namens Carrick, der in der Nachbarzelle inhaftiert ist, während sie auf ihren Prozess warten. Obwohl sie fast nichts miteinander sprechen, steigert sich Celestine im weiteren Verlauf in eine massive Verliebtheit hinein, die durch nichts gerechtfertigt ist und komplett aufgesetzt wirkt. Klar, dass er später noch eine Rolle spielen wird, aber hier wurde die Liebesgeschichte sozusagen mit dem Holzhammer in die Geschichte gedrückt. Nicht gut gemacht.
Gelungen ist meines Erachtens wie geschildet wird, dass man in dieser moralisch höchst anspruchsvollen Gesellschaft niemandem trauen kann. Die wahren Motive der Menschen bleiben stets verborgen, ihre Handlungen sind doppeldeutig, ihr Interesse an Celestine nie ohne Hintergedanken. Manipulation ist allgegenwärtig. Obwohl sie lange nur eines will, nämlich sich wieder anzupassen und ein halbwegs normales Leben zu leben trotz ihrer Brandmarkung, muss sie schließlich erkennen, dass dies nicht mehr möglich ist, weil sie ungewollt ein Instrument einer Widerstandsbewegung geworden ist, deren Ausmaß und Motive sie nicht erfassen kann. Zu welchen Konsequenzen dies führt und wie dieser Umbruch weiter verläuft, hat sich die Autorin für Band zwei aufgehoben, Ende Band eins offen.
Cecilia Ahern, Flawed - Wie perfekt willst du sein? Argon 2016.
No comments:
Post a Comment