Rückblickend erfahren wir viel über die teils schrägen Charaktere von Brinkebüll, die schwierigen Familiengeschichten, auch über den Zusammenhalt im Dorf, aber schließlich über den schrittweisen Verfall dieses ursprünglichen Dorflebens. Dabei stellt sich heraus, dass der vermeintliche Fortschritt auch immer mit Verlusten einhergegangen ist. Gleichzeitig wird deutlich, dass viele der Dörflerinnen und Dörfler in ihrem begrenzten Raum keine Chance auf ein erfülltes oder auch nur ein faires Leben hatten.
Ingwer setzt sich aber nicht nur mit der Vergangenheit des Dorfes, sondern auch mit seiner eigenen Familiengeschichte auseinander und entdeckt, dass er seine Wurzeln respektieren, aber auch seine getroffenen Entscheidungen akzeptieren und weniger bereuen muss, um in seinem Leben wieder Fuß zu fassen.
Mittagsstunde ist ein sehr leises und langsames Buch, bietet aber eine Fülle an interessanten Charakteren, beleuchtet empathisch, aber dennoch nicht wertend die Mechanismen einer kleinen Dorfgemeinschaft. Man kann ein wenig nostalgisch werden, wenn man vielleicht ans Plattdeutsch der eigenen Großeltern oder die kleinen Tante-Emma-Läden zurückdenkt, die es nicht mehr gibt. Auf Brinkebüll muss man sich einlassen, dann hat es etwas zu erzählen.
Dörte Hansen, Mittagsstunde. Random House Audio 2018.
“Man hatte hier als Mensch nicht viel zu melden. Man konnte gern rechts ranfahren, aussteigen, gegen den Wind anbrüllen und Flüche in den Regen schreien, es brachte nichts. Es ging hier gar nicht um das bisschen Mensch.”
1 comment:
Hallo,
da kann ich nur zustimmen, ein ganz wunderbares Buch! Dörte Hansen baut so viel Atmosphäre auf, ganz ohne Rührseligkeit oder kitschige Dorfidylle – ich hab's geliebt.
LG,
Mikka
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