Friday, December 26, 2014

Rachel Joyce - Die unwahrscheinliche Pilgerreise des Harold Fry

Rachel Joyces Roman Die unwahrscheinliche Pilgerreise des Harold Fry erschien bereits 2012 und hatte großen Erfolg und hielt sich lange auf den Bestsellerlisten.
Der Stil des Titels und auch der Plot erinnert entfernt an Der Hundertjährige, des aus dem Fenster stieg und verschwand. Völlig unerwartet verschwindet der Pensionär Harold Fry aus seinem kleinen Häuschen in einem englischen Kaff, nachdem er den Brief einer an Krebs erkrankten alten Arbeitskollegin, Queenie Hennessy,  erhalten hat. Statt nur bis zum Briefkasten läuft er immer weiter, um die Krebskranke zu besuchen, sie soll "auf ihn warten". Ein Roadmovie zu Fuß: Harold erfährt die Probleme eines Wanderanfängers, die Freundlichkeit von Unbekannten und das meditative Versinken in die eigene Gedankenwelt beim Wandern. Eine Pilgerreise wird es durch die Hoffnung, dass er Queenie durch sein Laufen irgendwie retten könne, doch eigentlich rettet er eher sich selbst, seine Frau, seine Ehe. Er durchlebt und durchleidet die Schicksalschläge und Fehler seines Lebens, um Frieden damit machen zu können.
Trotz des Wortes Pilgerreise im Titel erhebt die Autorin dabei nie den moralischen oder gar religiösen Zeigefinger, im Gegenteil, man hat den Eindruck Harold (und auch seine Frau) geht viel zu streng mit sich selbst ins Gericht, lädt sich selbst viel Schuld auf die Schultern. Die erhoffte Erlösung durch den Besuch im Hospiz bei Queeny stellt sich nicht automatisch ein, das wäre auch zu einfach. Erst zusammen können Harold und seine Frau erkennen, dass es einen weiteren, gemeinsamen Weg und Möglichkeiten gibt, über Vergangenes hinwegzukommen.
Mir hat der Erzählton des Buches gut gefallen, britisch mit einem Augenzwinkern, sehr geradeaus, die Charaktere mit wenigen Strichen gut gezeichnet. Die Dynamik des Wanderns und der Effekt auf die Psyche sind gut umgesetzt, aber auch wiederum ohne dies als Allheilmittel zu verkaufen, denn gerade auch die kaputten Gestalten, die sich Harold zwischenzeitlich anschließen, erfahren mit ihrer Bedürftigkeit und ihrer Lautstärke gerade nicht das, was Harold auf seiner Reise erfährt. 

Rachel Joyce, Die unwahrscheinliche Pilgerreise des Harold Fry. Argon 2012.

No comments: