Saturday, April 25, 2015

John Williams - Butcher's Crossing

John Williams (1922-1994) veröffentlichte seinen zweiten Roman Butcher's Crossing bereits 1960. Die deutsche Erstveröffentlichung erfolgte erst jetzt, weil der Roman zusammmen mit Stoner in den USA und an den dortigen Erfolg anschließend  kürzlich wiederentdeckt wurde.
Wie das Cover vermuten lässt, spielt Butcher's Crossing in einer Zeit, als es noch Büffel gab, in den weiten der amerikanischen Prairie in einer anderen Zeit. Es ist der Name eines kleinen Ortes in Kansas, in den um 1870 der Protagonist Will Andrews reist, um die Macht der Natur zu spüren und sich selbst zu finden. Er ist weit gereist dafür, hat er doch bis vor kurzem in Harvard an der Ostküste studiert und ein priviligiertes Leben geführt. Will hat Emerson gelesen und gehört, er will dessen Aufruf folgen und in Einklang mit der Natur leben und sie als Quelle der Selbstbestimmung erfahren, er ist auf der Suche nach seinem wahren Ich. So ist es nicht verwunderlich, dass er im ersten Teil des Romans naiv und suchend erscheint und kein Verständnis hat für den wilden Westen und die Menschen, die dort leben.
Doch das kleine Örtchen mit dem programmgebenden Namen Butcher's Crossing ("Schlachters Kreuzung") bietet ihm nicht die Naturerfahrung, wegen der er gekommen ist. Obwohl die Menschen dort ihn bereits leicht verstören zu scheinen, beschließt er, eine Büffeljagd (eigentlich amerikanischer Bison) zu finanzieren. Die großen Steppen sind bereits nahezu leergeschossen, der Handel mit den Fellen der friedfertigen Tiere boomt seit einigen Jahren. Miller, ein erfahrener Jäger, berichtet von einem mystischen Tal, in dem noch Tausende Büffel grasen sollen und das er vor Jahren per Zufall gefunden hat. Und so brechen Miller, William Andrews, ein Häuter namens Schneider und ein einarmiger Kutscher und Koch namens Charley Hoge mit Pferden und Wagen auf, um das Tal wiederzufinden.
Auf dem Weg erfährt Will keineswegs die große Verklärung und das Einssein mit der Natur, vielmehr muss er Schmerzen und Entbehrung erleben und verfällt in eine Art innere Starre, die Auswirkung der Eintönigkeit der Reise. Die Desillusionierung wird für einen kurzen Moment aufgehoben, als Miller tatsächlich den Zugang zum Tal findet, als bereits keiner der anderen Männer mehr daran glaubt. Sie betreten ein paradiesisches Tal, in dem die Natur tatsächlich im Überfluss gibt und wo große Schönheit herrscht. Doch statt wie Emerson in große Verzückung und lange Schilderung des Paradieses zu verfallen, schildert John Williams eindringlich, wie die Mordlust und Gewinnsucht die Männer packt und sie systematisch die Schönheit - verkörpert in den nahezu unglaubhaft friedlichen und kraftvollen Bisons - zerstören. Der Leser kann nicht umhin, Entsetzen zu verspüren, wie die Tiere abgeschlachtet werden und die Männer in eine Art Tötungsrausch verfallen. Der Autor scheut auch nicht, den Anführer der Bande, Miller, mit Teufelsattributen auszustatten, er ist das verkörperte Böse - und alle vier werden abgestraft, als sie wegen ihrer Gewinnsucht ihre längst fällige Abreise immer wieder aufschieben, obwohl sie längst mehr Felle haben als sie abtransportieren können, und sie vom plötzlich einfallenden Winter im Tal eingeschlossen werden und dort überwintern müssen. Sie überleben, beschwerlich und in gar nicht idealisierter Natur, um auf der Rückreise durch ihre Habgier - sie überladen den Wagen, der dadurch viel zu instabil ist - und durch die Natur selbst - in Form eines reißenden Stroms und eines darin treibenden Baumstammes - abgestraft zu werden.
Nur knapp schafft Will die Rückreise nach Butcher's Crossing mit leeren Händen. Zudem stellen die Männer fest, dass in ihrer Abwesenheit während der Wintermonate der Markt für Bisonfelle zusammengebrochen ist - eine weitere Reise, um die zurückgelassenen Beute zu holen und doch noch Gewinn zu machen, ist damit hinfällig.
Der letzte Teil des Romans stellt die Zerrissenheit und Ratlosigkeit des Protagonisten dar. Er ist im Nirgendwo, in einer sterbenden Stadt. Er ist nicht mehr der Naivling, der er war, er hat aber dennoch nicht wirklich zu sich selbst gefunden. Auch bieten sich ihm keine Allternativen, die Begegnung mit einer Frau bleibt lieb- und inhaltslos, sie kann die Leere in ihm nicht füllen. Er bricht auf, lässt Butcher's Crossing hinter sich mit einer ungewissen Zukunft.
Die Handlung allein macht den Roman nicht zu etwas Besonderem, der Dreischritt von Sinnsuche, Aufbruch und Scheitern ist schlicht genug. Die Charaktere bleiben größtenteils etwas rätselhaft, werden in ihrem Verhalten gezeichnet, erhalten aber wenig Vergangenheit und Geschichte und keinerlei Zukunft. Dadurch bleiben sie schemenhaft, obwohl man ihnen in Extremsituationen folgt. Der Protagonist bietet nicht viel Identifikationsfläche, die Suche versteht man, auch die Leere und beinahe erschlagende Sinnlosigkeit am Ende ist nachvollziehbar. Dazwischen ist er seltsam emotionslos, er sieht seine Mitstreiter, den Mörder/Teufel/Säufer/Irren, aber wie passt er ins Bild? Überwiegt der Ekel vor dem Töten? Empfindet er die Zerstörung des Paradieses? Meistens wirkt er nur abgestumpft durch Entbehrung und innerlich leer. Dadurch empfindet der Leser umso stärker, fühlt stellvertretend, was Will nicht zu fühlen scheint. Die Ungeheuerlichkeit dieses Abschlachtens schockiert und verstört - und im nächsten Schritt kann man als Leser nicht umhin, Parallelen zu ziehen zu ähnlich verantwortungslosem Umgang mit der Natur in der heutigen Zeit. Wer sind wir wirklich, wenn wir uns über unseren Umgang mit der Schöpfung definieren würden?
Butcher's Crossing Besonderheit liegt wohl darin, diese Frage zu stellen. Eine Antwort hat der Autor allerdings nicht parat.

John Williams, Butcher's Crossing. dtv, München 2015.

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Für die Buchchallenge 20/15 habe ich in diesem Buch aus der Kategorie IV. Gegenstand das Buch ausgesucht.
Einer der Männer hat eine Bibel dabei, die als einziges Buch und Zeugnis einer zivilisierten Gesellschaft in der Wildness nahezu bizarr und deplatziert wirkt. Als die Männer eingeschneit werden, ist es dennoch höchst wichtig danach zu suchen und sich daran in den schwierigen Wintermonaten daran festzuhalten.

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