Monday, October 18, 2021

Jodi Picoult - Große kleine Schritte

Wieder einmal ein Buch, das eine Kategorie für die Popsugar Reading Challenge erfüllen sollte: A book with an oxymoron in the title - ich fand Kleine große Schritte, unter anderem weil ich die Autorin kannte (andere Challenge, Beim Leben meiner Schwester). Ich wusste nichts über das Buch.

Kleine große Schritte erzählt die Geschichte eines Gerichtsprozesses, in dem die Geburtskrankenschwester Ruth Jefferson (schwarz, verwitwet, alleinerziehend) des Mordes an einem kleinen weißen Baby angeklagt ist. Die rassistischen Eltern des Babys hatten zuvor erwirkt, dass sie aufgrund ihrer Hautfarbe von der Behandlung ihres Kindes ausgeschlossen werden sollte. Ihre Vorgesetzte entspricht diesem Wunsch und verbietet Ruth, das Baby weiter zu versorgen. In einer Situation von Unterbesetzung und einem Notfall bleibt sie aber dennoch mit dem Baby allein, als es zu einem Atemstillstand mit Todesfolge kommt.
Die weiße Pflichtverteidigerin Kennedy McQuarrie versucht in ihrer Verteidigungsstrategie den Rassismus, der bei der Behandlung des Babys eine so große Rolle gespielt hat, auszuklammern, sehr zum inneren Ärger von Ruth - Rassismus habe im Gerichtssaal keine Rolle zu spielen. Geschickt weist Kennedy nach, dass eine Erkrankung, die noch nicht nachgewiesen war, zum Tod des Babys führte, so dass sie den Fall so gut wie gewonnen hat - als Ruth darauf besteht, ihre Wahrnehmung des Vorfalls zu schildern und damit die rassistischen Aspekte doch noch thematisiert werden.
Parallel dazu wird auch noch die Sicht des rassistischen Vaters geschildert, die, obwohl zunächst für den Leser abstoßend, aber dennoch weiterentwickelnd seinen Charakter beleuchtet.
Um die Geschichte zu einem positiven Ende bringen zu können, bedient sich Jodi Picoult meines Erachtens nach eines erzählerisch fragwürdigen Tricks, eine sehr unwahrscheinliche Enthüllung ändert das Mindset des rassistischen Vater und führt zu einer Form der emotionalen Gerechtigkeit beim Leser.

Wie schon bei anderen Romanen zum Thema des amerikanischen Rassismus weiß ich nicht genau, ob ich die Perspektiven genau nachempfinden kann, Europa kämpft mit anderen Formen des Rassismus und der Vorurteile. Nicht weniger ätzend, aber anders.
Der systemische Rassismus, wie man ihn wohl nennt, ist durchaus eine Besonderheit der USA. In vielen der Rezensionen wird gelobt, wie Jodi Picoult diesen ihren Lesern vor Augen führt. In dem Charakter der Kennedy McQuarry vollzieht sich eine Wandlung ihres Verständnisses, obwohl sie beruflich ständig Schwarze verteidigt, aber erst mit Ruth zusammen wirklich versteht. Andere empfinden die Darstellung besonders der Vorkommnis
se im Krankenhaus als unpassend und abstoßend, die Reaktionen im Folgenden also teils als unrealistisch. Nachvollziehbar ist für mich, dass Ruths Stimme vielleicht nicht deutlich genug gehört oder nicht drastisch genug spricht. Vielleicht wird ihre Perspektive erneut von dem überheblichen Recht der Weißen überdeckt, alles am besten beurteilen zu können.
Ähnlich wie bei den unterschiedlichen Rezensionen bleibt auch meine Meinung zwiegespalten. Einerseits legt Picoult hier den Finger in die Wunde - auch offenkundig tolerante Weiße können sich nicht davon freisprechen von dem systemischen Rassismus zu profitieren und weiter zu dessen Erhalt beizutragen. Hier gibt es keine einfachen Antworten - aber es ist richtig zu fragen. Nach der Lektüre von beispielsweise Ta-Nehisi Coates gehen die Fragen der Autorin aber längst nicht weit genug. Aber vielleicht ist es in Ordnung, zumindest Schritte in die richtige Richtung zu gehen - für viele mag es ein wichtiges Buch zu richtigen Zeit gewesen sein, wenn man den vielen positiven Rezensionen glaubt. 

Jodi Picoult, Kleine große Schritte, Audiobuch 2017.

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