Alice Sebold konstruiert in ihrem 2002 (2005 in Deutschland) veröffentlichten Roman In meinem Himmel eine ungewöhnliche Erzählperspektive: Das Mordopfer eines Vergewaltigers beobachtet die auf ihren Tod folgenden Geschehnisse aus "ihrem Himmel" heraus.
Susie war 1973 zum Zeitpunkt ihres Todes 14 Jahre alt und zurück bleiben ihre Eltern und zwei Geschwister. Ihren Himmel beschreibt sie als ihr persönliches Paradies, sie selbst gestaltet sein Aussehen durch ihre Wünsche und ihre Kenntnis der Welt. Die Schilderungen dieser größtenteils naiven (Teenager-) Himmelswelt sind nicht sehr ausführlich und bilden auch nicht den Schwerpunkt des Romans. Vielmehr begleitet Susie ihre Familie und einige Freunde dabei, wie sie nach ihrem Tod weiterleben und wie ihr Tod das Leben der Menschen beeinflusst. Nebenbei verfolgt sie auch ihren Mörder, einen Nachbarn, den die Polizei trotz Verdächtigungen nicht verhaften kann.
Der gewaltsame Tod eines Kindes wäre für jede Familie schwer zu bewältigen, ohne große Beschönigungen berichtet Susie, was sie sieht, die schönen Erinnerungsmomente, die Fehlschläge in der Bewältigung und verzweifelten Fehler der Familie im Umgang miteinander.
Frustrierend für jemanden mit einem Hang zum Kriminalroman und Thriller ist die erfolglose bzw. nicht stattfindende Ermittlung oder Überführung des Täters, er ist nur einer der Menschen, die von Suzies Tod beeinflusst werden, Gerechtigkeit gibt es an dieser Stelle nicht, zumindest nicht im Sinne des Gesetzes. Problematisch für den Plot sind die langgezogene Beschreibungen der Verarbeitung durch die Familienmitglieder, die - verständlicherweise - keinen echten oder natürlich gegebenen Endpunkt erhalten. Die Zeitspanne zwischen den Ereignissen wird am Ende von der Autorin einfach größer gefasst, die Trauer erfährt eine Veränderung durch das Verstreichen von Zeit, das Buch endet.
Einzig eine bizarr anmutende Szene, in der Susie den Körper einer Freundin in Besitz nimmt, um ein letztes Mal wie ein Mensch zu fühlen und Verpasstes zu erleben, bildet eine Art Höhepunkt der Handlung. Was dies für die zurückbleibende Freundin des (missbrauchten) Körpers bedeutet, wird ausgelassen...
Die Pluspunkte des Romans - die interessante Erzählperspektive und die Beleuchtung der Trauernden und ihre Wege der Bewältigung - reichen für mich subjektiv nicht aus, um die Schwächen des Plots und die mangelnde Tiefe der Charaktere (inklusive der Erzählerin Susie) auszugleichen - keine sonderlich befriedigende Lektüre.
Alice Sebold, In meinem Himmel. Goldmann, München 2005.
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