In ersterem beobachtet der naive neunjährige Bruno die Geschehnisse im KZ und man betrachtet die entsetzlichen Geschehnisse durch seine Kinderaugen. Auch Pierrot ist noch sehr klein, als er seine Pariser Heimat verlassen muss. Der deutsche Vater und die französische Mutter sind tot, er muss seinen Hund bei seinem jüdischen Freund zurücklassen. Schließlich wird er von seiner Tante in Deutschland adoptiert, die als Haushälterin im Berghof, Hitlers Residenz in Obersalzberg, arbeitet. Als Leser bemerkt man schnell die vorsichtige und kritische Haltung der Tante gegenüber ihrem "Herren", muss aber mit Entsetzen miterleben, wie der junge Pierrot, nunmehr Peter, der Ideologie des Führers und dessen Macht und Symbolik immer mehr verfällt.
Beeindruckend ist, wie schleichend dieser Prozess vonstatten geht, wie andere Peters Verwandlung mit Entsetzen und Ekel miterleben und wie man selbst sich immer stärker von dem Protagonisten distanziert, der einem durch seine Familiengeschichte und sein Waisenschicksal in den ersten Kapiteln ans Herz gewachsen war. Etwas verstörend ist dabei die sehr private Darstellung Hitlers und der übrigen Nazischurken und die etwas naive Abhandlung ihrer Greueltaten (z.B. die Planung der Todeslager), aber dies ist nicht das zentrale Thema des Romans. Boyne schildert die Verführbarkeit eines jungen Geistes, dem erst viel zu spät klar wird, welche Schuld er mit seiner Partizipation an diesem System auf sich lädt. Erleichtert ist man, als Boyne seinem Protagonisten schließlich die Kraft gibt, sich mit dieser Schuld auseinanderzusetzen, wofür er Pierrot an seinen Ursprungsort und zu seinem jüdischen Freund zurückkehren lässt. Im Hörbuch ist diese Szene sehr ansprechend umgesetzt, da nur hier ein weiterer Sprecher eingesetzt wird, sodass die Ebenen der Erzählung und des Erzählten sich mischen.
Wie schon bei Der Junge im gestreiften Pyjama wäre ich vorsichtig, dieses Buch jungen Lesern ohne Vorkenntnisse über die Zeit des Nationalsozialismus in die Hände zu geben. Zu wichtig sind die historischen Wirklichkeiten, als dass irgendwelche Missverständnisse aufkommen sollten, was für ein Monster Adolf Hitler war. Diese Darstellung war - wie gesagt - nicht die Zielsetzung des Autors, das Setting ist erzählerisches Mittel, kein Realismus. Um Kinder und Jugendliche an die Geschichte dieser Zeit heranzuführen gibt es zahlreiche andere Romane, die ich dafür eher empfehlen würde als Der Junge auf dem Berg. Aus der Erwachsenenperspektive kann man aber wertschätzen, wie Boyne die perfide Attraktion des Systems für junge Menschen höchst eindrucksvoll schildert. Dennoch gewann der Roman 2017 den Buxtehuder Bullen, dem Preis für "das beste in deutscher Sprache veröffentlichte erzählende Jugendbuch".
"Just don't ever tell yourself that you didn't know....
That would be the worst crime of all."
John Boyne, Der Junge auf dem Berg. Igel Records 2017.
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