Eine chinesisch-amerikanische Familie in einer Kleinstadt im Ohio der 70er Jahre stürzt in die Katastrophe, als die älteste Tochter Lydia tot in einem See aufgefunden wird. Zugunsten der Kinder hat Mutter Marilyn ihren Traum Ärztin zu werden aufgegeben und mit dem Tod der Tochter ist auch die Hoffnung vernichtet, dass diese an ihrer Stelle den Traum verwirklichen wird. Alle Familienmitglieder, auch Lydia, blicken zurück auf ihr Familienleben, die vielfältigen und teils rücksichtslosen und verständnislosen Erwartungen und die Rollen, die alle in diesem komplexen Konstrukt einnehmen. Die Atmosphäre ist geprägt von Unehrlichkeit und auch von Verzweiflung, in den Rollen gefangen zu sein. Gleichzeitig geht es aber nicht um Schuld, denn Ng lässt ihre Charaktere facettenreich erklären, warum sie nur so handeln konnten. Gesellschaftliche Normen beeinflussen massiv das Selbstbild und die Erwartungen aller Familienmitglieder - Rassismus oder die Diskriminierung von Frauen, die nicht in Haushalt und Mutterschaft Erfüllung finden, sind nur die augenscheinlichsten Probleme, die Was ich euch nicht erzählte anspricht. Der Roman bietet Denkanstöße über Eltern-Kind- oder Geschwister-Beziehungen nachzudenken, die Perspektive zu ändern. Allerdings geschieht dies mit relativer Sachlichkeit, eine enge emotionale Bindung an die Charaktere will sich nicht recht einstellen, aber vielleicht ist dies auch gewollt - man soll sich nicht auf die Seite eines Familienmitglieds schlagen, keine Schuld zuweisen. Vielleicht hat es daher auch wenig Relevanz, wenn am Ende aufgelöst wird, was zu Lydias Tod führte.
Was ich euch nicht erzählte ist ein interessanter und lesenswerter Roman, zum Teil beklemmend, der einen nachdenklich zurücklässt.
Celeste Ng, Was ich euch nicht erzählte. DAV 2016.
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