Wir befinden uns in Shaker Heights, Ohio, einer "planned community", in der alles reguliert und geplant ist, alles ist also so, wie es sein soll. Diesem Ideal folgt auch Elena Richardson mit ihrem gepflegten Haus und den wohlgeratenen Kindern. Naja, fast alle Kinder sind wohlgeraten, denn die jüngste Tochter Izzy ist schon immer der Querkopf der Familie gewesen. Elena besitzt noch ein zweites Haus, das sie gern an Leute vermietet, die etwas Unterstützung gebrauchen können. Eines Tages zieht die Fotografin und Künstlerin Mia Warren mit ihrer Tochter Pearl dort ein. Die Richardson Kinder freunden sich nach und nach alle mit Pearl und auch mit Mia an, besonders Izzy sucht Mias Nähe, denn diese ist so anders als alle in ihrer eigenen Familie.
Aus diesem eher schlichten Setting entwickelt Celeste Ng in Kleine Feuer überall einen bunten Strauß an Charakteren und wechselt ihre Perspektiven und Erzählschwerpunkte durch den ganzen Roman hindurch beständig. Dem Leser ist dabei stets klar, das die Geschichte auf die am Anfang vorweg genommene Katastrophe hinsteuert. Jeder einzelne trägt ein "kleines Feuer" bei, jeder hat seine Geheimnisse, sein persönliches Drama, das unaufhaltsam seinen Lauf nimmt. Dabei bleibt der Erzählton stets sachlich, fast ein bisschen nüchtern, bedenkt man, wie eindrucksvoll die Charaktere dennoch wirken, keine geringe Leistung der Autorin - beeindruckend.
Damit nicht genug, beleuchtet der Roman auch noch facettenreich, was eine gute Mutter ausmacht. Hier werden Elena Richardson und Mia Warren einander konträr gegenüber gestellt, deren Erziehungsbasis nicht unterschiedlicher sein könnten. Außerdem wird - quasi nebenbei - der Sorgerechtsfall um ein kleines Mädchen chinesischer Abstammung behandelt: Wer ist geeigneter das Mädchen in Zukunft zu erziehen - das reiche amerikanische Ehepaar, das das Kind bei sich aufnahm und sich schon lange ein Kind wünscht, oder die alleinerziehende, leibliche Mutter, die in einer Phase wirtschaftlichen und psychischen Elends das Kind weggab und nun wieder Verantwortung für die Tochter übernehmen möchte? Keine einfache Frage, die auch von den Charakteren des Romans nur schwer beantwortet werden kann.
Es ist der Perspektivenreichtum, der Celeste Ngs Roman von anderen abhebt, wenngleich man ihr diesen gegebenenfalls auch zum Vorwurf machen kann, denn am Ende steht nicht der eine große Schlusston, der eine ausentwickelte Protagonist, der die Welt mit neuen Augen, mit neuer moralischer Grundhaltung betrachtet. Dies ist nicht der Weg, den die Autorin wählt - dies kann der Leser werten, wie er will.
Celeste Ng, Kleine Feuer überall. DAV 2018.
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