Eine literarisch und lebensphilosophisch interessante Idee, die Jenny Erpenbeck ihrem Roman Aller Tage Abend zugrundelegt. Die Redewendung des Titels ist auch das Grundmuster des Romans: Etwas geht zuende - aber nicht alles. Jemand stirbt - oder eben doch nicht.
So erzählt Erpenbeck nacheinander, eingeleitet jeweils durch ein "Intermezzo" überschriebenes Kapitel, fünfmal die Geschichte einer Frau und lässt sie zu verschiedenen Zeitpunkten ihres Lebens sterben. Als Säugling, als verliebtes Mädchen, als Opfer politischen Verrats, als hochgeehrte Literatin und als vergessene alte Frau. Dabei verschiebt sich die Perspektive von der Protagonistin oft zu den übrigen Beteiligten der Familie, die den Tod verarbeiten und weiterleben müssen. Oft ist Thema, was nach dem Tod bleibt, welche Spuren zu finden sind und was entscheidend war in diesem Leben.
Dabei streift die Autorin auch noch politische und geschichtliche Themen, da die Protagonistin nicht nur Halbjüdin, sondern auch Kommunistin ist. Besonders letzteres steht in einem der erzählten Leben im Vordergrund, Erpenbeck sinniert über das Scheitern der kommunistischen Ideen in der Sowjetunion und die Verlogenheit des Systems.
Interessant sind in Aller Tage Abend die zufällig anmutenden Wendepunkte im Leben, Entscheidungen, manchmal aber auch Willkürlichkeiten, die zwischen Fortgang und Ende des Lebens entscheidend. Was tue ich bewusst, was ist vorherbestimmt, schicksalshaft? Unausweichlich ist nur der Tod - die Frage ist nur, welcher!
Sprachlich driftet Erpenbeck oft in einen ellipsenlastigen, flüchtige Gedanken spiegelnden Stil ab, dem man aber dennoch gut folgen kann und der dem Sprunghaften des Erzählten mit seinen Brüchen und Querverweisen gut entspricht und damit eine gelungene Kombination ergibt.
Trotz diesen positiven Aspekten blieb mir die Geschichte stets ein wenig fremd, fühlte ich mich distanziert von der Protagonistin und dem Geschehen und emotional nicht in dem Maße angesprochen, wie es vielleicht intendiert war. Dies war besonders der Fall bei der Episode der überzeugten Kommunistin, die schließlich in all ihren Grundüberzeugungen erschüttert und desillusioniert wird. Nichtsdestotrotz ein lesenwerter Roman.
Jenny Erpenbeck, Aller Tage Abend. Knaus, München 2012.
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