Warum eigentlich?
Das Buch ist nicht schlecht.
Mitchell entwirft sechs voneinander unabhängige Lebensgeschichten und ich bediene mich mal Wikipedias Übersicht dazu, um sie darzustellen:
- Das Pazifiktagebuch des Adam Ewing
In den 1850ern (es wird keine genaue Zeit genannt, jedoch wird der Goldrausch in Kalifornien erwähnt); im Stile der Zeit verfasstes Tagebuch; - Briefe aus Zedelghem
1931; ein Briefzyklus; - Halbwertszeiten. Luisa Reys erster Fall
1975; ein Kriminalroman/Thriller; - Das grausige Martyrium des Timothy Cavendish
In der heutigen Zeit (keine genaue Zeitangabe); Memoiren/Essay, als Vorlage für ein Drehbuch zur Verfilmung; - Sonmis Oratio
In einer dystopischen Zukunft (um 2100); ein Protokoll/Dialog; - Sloosha’s Crossin’ un wies weiterging
In einer fernen Zukunft; eine Erzählung/Monolog
"So addiert sich vielleicht die Summe all diese Bemühungen gegen die Ungerechtigkeit der Welt doch zu einem bisschen Hoffnung.
Was aber ist ein Ocean anderes als eine Vielzahl von Tropfen?"
Die Verknüpfung der Protagonisten und die Erwähnung von Reinkarnation an mehreren Stellen des Romans lässt auch die Deutung zu, dass die einzelnen Charaktere dieselbe Seele haben, also wiedergeboren sind. Dabei hat Mitchell großen Wert auf die Verschiedenheit der Erzählstile (siehe Übersicht) und des Erzähltons und der Sprache gelegt. Er imitiert die Stimmung und die Sprache der Zeit, dabei werden auch Orthographie und Satzbau entsprechend angepasst. Am deutlichsten (und auch am nervigsten für den Leser) tritt dies bei "Sloosha’s Crossin’ un wies weiterging", dessen mundartliche Transkription zunächst nur schwer lesbar ist, aber sicher den zivilisatorischen Zusammenbruch und die hilflose Naivität des Erzählers gut umsetzt - auch in der deutschen Übersetzung (das war sicher eine Herausforderung für Volker Oldenburg).
Abschließend lässt sich sagen, dass Der Wolkenatlas sicherlich ein extrem gut komponierter, sehr durchstilisierter Roman ist, über den man viel nachdenken kann, gerade weil er Geschichte und die gesellschaftlichen Probleme über diesen großen Zeitraum von mehreren hundert Jahren umspannt ("History will teach us nothing..." Sting, 1987). Wirklich fesseln konnte der Roman mich nicht, sonst wären eingangs genannte Leseschwierigkeiten nicht aufgetreten, vielleicht ist er zu konstruiert, zu glatt, bietet zu wenig Identifikationsfläche in den Charakteren, die mir fast alle fremd blieben, vielleicht mit Ausnahme der beiden weiblichen Protagonisten Luisa Rey und Sonmi. Die Sprache, obwohl ausgefeilt und gezielt eingesetzt, verfehlte ihre Wirkung, sie war eher ein Problem als ein Bonus. Ich bin durchaus zufrieden, diesen Roman kennengelernt zu haben, aber eher im Sinne der literarischen Erfahrung als im Sinne des Lesegenusses.
David Mitchell, Der Wolkenatlas. Rororo, Reinbek 2007.
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