Thursday, December 29, 2016

Rebecca Lim - Gefangen

Gefangen von der australischen Autorin Rebecca Lim ist der erste Band einer YA-Serie über Mercy, die (laut Klappentext) ein gefallener Engel ist. Der Roman beginnt damit, dass Mercy wieder einmal in einem fremden Körper erwacht. Diesmal ist es der von Carmen, die sich gerade auf einem Schulaustausch befindet, bei dem sich mehrere Chöre in einer Kleinstadt treffen, um Mahlers 8. Sinfonie zu proben und aufzuführen. Zunächst lernt Mercy/Carmen ihre Gastfamilie kennen, der schreckliches widerfahren ist: Die Tochter Lauren ist vor längerer Zeit verschwunden und die Familie ist immer noch verstört. Mercy kann sich denken, dass sie dort ist, um der Familie zu helfen. Sie hofft, sich im Chor in der Masse der Sänger verstecken zu können - muss aber leider bei der ersten Probe feststellen, dass sie eine der Solistinnen ist! Aber sie wäre nicht Mercy, wenn sie dieses Problem nicht überwinden könnte - und schließlich singt sie ... wie ein Engel (!). Auch die verschwundene Lauren war eine talentierte Sopranistin.
Gemeinsam mit Laurens Bruder Ryan, den Mercy sehr anziehend findet, versucht sie dem Geheimnis auf die Spur zu kommen und Lauren wiederzufinden.
Die Protagonistin Mercy ist eine starke Persönlichkeit: Anpassungsfähig, selbstbewusst, empathisch und mit besonderen Fähigkeiten ausgestattet, die sie zu ihrem Vorteil nutzt. Die Ausarbeitung der weiteren Charaktere bleibt dagegen lückenhaft und auch bei Mercy gibt es Leerstellen. So gibt es zwar zahlreiche Andeutungen, dass irgend etwas geschehen sein muss, weswegen sie (zur Strafe?) immer wieder in einem neuen Körper erwacht, um eben dieser Person zu helfen, aber keine Erklärung. Es tauchen weitere engelartige Gestalten auf, vor allem auch in ihren Träumen, die aber auch mehr Fragen aufwerfen als sie beantworten. Die Hintergrundsgeschichte bleibt unklar, zwar ist die Deutung, dass sie ein Engel ist, recht offensichtlich (sie leuchtet im Dunkeln, genau), aber alles andere ist Spekulation. Das ist, gelinde gesagt, in dieser Form selbst bei einer Serie höchst unbefriedigend.
Der Plot wird augenscheinlich bestimmt von der Suche nach Lauren. Mercy soll/will der Familie helfen und es gibt Nachforschungen/Unternehmungen mit Ryan, die aber keine Erkenntnisse bringen, sondern handlungstechnisch alle (!) Sackgassen sind. Verschiedene Personen geraten unter Verdacht und erweisen sich als unschuldig, nur der Täter natürlich nicht. In jedem Kriminalroman würde man erwarten, dass sich aus den Nachforschungen zumindest neue Erkenntnisse, Hinweise oder Spuren ergeben, die weiterführen und schließlich zur Entdeckung des Schuldigen führen - hier Fehlanzeige. Dazwischen sind lange Passagen, die von den Chorproben und dem Mädchengezicke der Sängerinnen untereinander handeln. Dabei kann sich Mercy zwar als charakterlich und strategisch überlegen profilieren, weitere Funktionen für die Handlung scheinen diese Episoden aber nicht zu haben.
Erstaunlicherweise liest sich der Roman dennoch flüssig und man bleibt weiter neugierig auf die Hintergründe - vielleicht gerade weil diese so undurchsichtig bleiben. Der finale Showdown ist arg klischeebeladen, Mercy wird zum Racheengel und das Gute siegt.
Insgesamt lässt mich Gefangen aber doch etwas enttäuscht zurück. Scheinbar hatte die Autorin eine Vision von einer tollen Protagonistin und einem ordentlichen Setting, aber sie scheitert daran, dem ganzen einen stringenten Plot zu geben, dieser wirkt zerstückelt und viel zu wenig durchdacht, es sind logische Leerstellen vorhanden, die es so einfach in keinem Roman geben sollte.

Rebecca Lim, Gefangen (Mercy #1). Ravensburger 2011.


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