Jedoch entwickelt sich die Geschichte nicht wie erwartet...
Der Roman besticht vor allem durch die zahlreichen Wendepunkte: Die einzelnen Charaktere erhalten von Kapitel zu Kapitel mehr Tiefe und treffen Entscheidungen, die so nicht zu erwarten waren - vor allem Scipio und Victor sind nicht die, die sie anfangs zu sein scheinen, ihre unerwarteten Reaktionen werden aber plausibel, sobald wir etwas mehr über ihre persönliche Geschichte erfahren.
Das Thema des Erwachsenseins und des Erwachsenwerdens steht wie ein großes Motto über allen Charakteren: Sie wollen nicht mehr in der Rolle des Kindes gefangen sein, sehnen sich zurück zu den Abenteuern der Kindheit, haben Kindheit nachzuholen oder werden langsam, aber stetig erwachsener und übernehmen Verantwortung für sich und andere. Genau diese Vielschichtigkeit und Spannung zwischen Kind- und Erwachsensein stellt Funke an den Anfang des Romans:
Um all diese Perspektiven noch etwas intensiver zu beleuchten, bedient sich die Autorin eines einzelnen fantastischen Elements in einem sonst in der realistischen Jetztzeit beheimateten Romans: Ein Karussel, dass den, der darauf fährt, älter oder jünger machen kann - es steht in einem verwilderten Labyrinth auf einer mysteriösen, verlassenen Insel und besticht durch seine schlichte Schönheit - real und symbolisch."Erwachsene erinnern sich nicht daran, wie es war, ein Kind zu sein.Auch wenn sie es behaupten.Sie wissen es nicht mehr. Glaub mir.Sie haben alles vergessen.Wie viel größer die Welt ihnen damals erschien.Dass es mühsam sein konnte, auf einen Stuhl zu klettern.Wie fühlte es sich an, immer hochzublicken?Vergessen.Sie wissen es nicht mehr.Du wirst es auch vergessen.Manchmal reden die Erwachsenen davon, wie schön es war, ein Kind zu sein.Sie träumen sogar davon, wieder eins zu sein.Aber wovon haben sie geträumt, als sie Kinder waren?Weißt du es?Ich glaube, sie träumten davon, endlich erwachsen zu sein."
Am beeindruckendsten ist die Tatsache, dass Funke das Meisterstück gelingt, beim Leser selbst für die bösen Charaktere, die Gegenspieler der Kinder, Sympathie oder zumindest Verständnis zu wecken. Auch diese haben eine Geschichte und Beweggründe, warum sie so sind, wie sie sind. Den Protagonisten hingegen gönnt man das Happy End, dass die Autorin ihnen geschrieben hat, von ganzem Herzen. Ein liebenswerter, poetischer und zugleich spannender Roman mit starken Charakteren - eine Seltenheit.
Cornelia Funke, Herr der Diebe. Dressler, Hamburg 2000.
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