Tess Gerritsens Totenlied vereint mehrere Genre in sich, ist Familiendrama, historischer Roman und Thriller zugleich. Wer einen Fall wie von Rizzoli und Isles erwartet, wird eventuell enttäuscht sein...
Die US-amerikanische Violinisten Julia Ansdell findet in einem italienischen Antiquitätengeschäft ein Notenbuch mit einem handgeschriebenen Notenblatt. Der darauf notierte Walzer und der Komponist sind ihr völlig unbekannt. Zurück zuhause spielt sie erstmals die Komposition und findet danach ihren ermordeten Kater und ihre verstörte dreijährige Tochter Lily daneben. Als sich weitere Vorfälle ereignen, die scheinbar auch mit dem Walzer mit dem Titel "Incendio" zu tun haben, gerät ihr gesamtes Familienleben aus dem Gleichgewicht. Sie scheint nicht mehr sie selber zu sein, fürchtet sich vor ihrer Tochter und hat schreckliche Angst, ihr Mann könne sie in eine psychiatrische Anstalt einweisen, denn ihrer Mutter geschah ähnliches... Sie weiß nicht, was los ist, aber sie will das Rätsel um die Herkunft des Walzers klären, um vielleicht herauszufinden, warum all diese Dinge geschehen, und reist erneut nach Italien...
Parallel dazu wird die Geschichte des Komponisten und Violinisten Lorenzo Todesco im Italien der 1930er Jahre erzählt, so dass der Leser einige der Antworten auf Julias Fragen schon vorher kennt. Dadurch kommt die Auflösung und das Ende der Geschichte vielleicht nicht ganz so überraschend, aber Totenlied ist dennoch ein echter Pageturner. Beide Erzählebenen entwickeln ihre eigene Dynamik, die Protagonisten, obgleich beide Musiker sind, ist ihr Verhältnis zur und Erleben von Musik dennoch unterschiedlich. Einerseits ist es für Lorenzo seine Möglichkeit, seine Gefühle auszudrücken und wird sogar zum einzigen Mittel dies zu tun, zum Rettungsanker in der Verzweiflung. Für Julia ist es eher auch Beruf, ihre emotionalen Bindungen geschehen nicht über die Musik, es ist eher etwas, das sie von ihrem Mann trennt, der als Logiker und Rationalist sie nicht immer verstehen kann. Erst am Ende stellt sich heraus, dass die Musik sie in einer schweren Zeit heilen kann und zur Zukunft wird.
Überrascht war ich am Ende des Buches von der Tatsache, dass Gerritsen in Totenlied ihre eigene Affinität zur Musik zum Ausdruck bringt, ja sogar das Titelstück komponiert hat, sodass "Incendio" bei Leseveranstaltungen mit der Autorin am Klavier aufgeführt wurde. Insgesamt kann ich den Roman allen Musik-affinen Fans von Tess Gerritsen empfehlen, auch wenn eine stringente Thriller-Handlung vielleicht nicht zustande kommt - dies bedeutet nicht, dass das Buch nicht spannend ist!
Tess Gerritsen, Totenlied. Limes, München 2016.
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