Am Neujahrsmorgen versucht Henning gleich, einen seiner Vorsätze umzusetzen und macht sich von seinem Ferienhaus in Lanzarote mit dem Fahrrad auf, um auf einen der Berge zu fahren. Während er physisch an seine Grenzen stößt, beschäftigt er sich gedanklich mit seinem Leben. Er fühlt sich in keiner seiner Rollen als Familienvater, Lektor oder Ehemann wirklich wohl, sieht nur seine Unzulänglichkeiten und leidet seit einiger Zeit an Panikattacken. Die Story nimmt eine überraschende Wendung, als er - um um Wasser zu bitten - per Zufall an die Tür eines Hauses klopft, das ihm seltsam bekannt vorkommt. Die Erzählebene wechselt zum Kind Henning, der zusammen mit seiner zweijährigen Schwester in eben jenem Haus eine massive Ehekrise der Eltern miterlebt. Dies führt dazu, dass beide Elternteile in der Nacht das Haus verlassen, beide kommen nicht zurück, der Vater geht, die Mutter hat einen Unfall. Die beiden Kinder bleiben mehrere Tage allein und versuchen zu überleben, bis sie schließlich gefunden werden. Die Gefühle, die Henning als Kind durchlebt in der totalen Überforderung für seine Schwester zu sorgen, spiegeln seine aktuellen Schwierigkeiten mit seine Frau und den Kindern. Die wiederentdeckte Erinnerung hilft ihm zu neuen Erkenntnissen und zu einem tatsächlichen Aufbruch im neuen Jahr.
Obwohl mir der Protagonist nicht sonderlich sympathisch war, ist die Geschichte, die Juli Zeh in Neujahr konstruiert, spannend und bietet viel Raum zur Reflexion über die Rollen und Muster, in denen wir uns wiederfinden, und über das Trügerische der Erinnerung und der Konstruktion der eigenen Geschichte.
Juli Zeh, Neujahr. Hörverlag 2018.
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