Der Originaltitel von Gail Honeymans Debutroman ist sehr viel bedeutsamer als die deutsche Übersetzung: Eleanor Oliphant Is Completely Fine. Nein, bereits auf den ersten Seiten (bzw. nach den ersten Minuten des Audiobooks) ist klar, dass es Eleanor nicht gut geht. Sie ist anders als andere Menschen, lebt seltsam emotionslos an den anderen vorbei und ist dabei auf eine Weise isoliert und einsam, dass es einem das Herz bricht.
Nach und nach wird klar, dass ein traumatisches Ereignis in ihrer Kindheit dafür verantwortlich sein muss, doch was genau geschehen ist, erfährt der Leser erst am Ende, nachdem er Eleanors Weg mit ihr gegangen hat.
Der einzige Ort, an dem Eleanor auf Menschen trifft, ist ihr Arbeitsplatz, ihre Kolleginnen finden sie aber seltsam und lästern nahezu offenherzig auch in ihrer Gegenwart über sie. Ein kaputter Computer bringt sie in Kontakt mit Raymond, ein eher nerdiger, aber gutherziger Typ, der über ihre seltsamen Seiten hinwegsehen kann und mit ihr spricht. Aus dieser Begegnung entspinnt sich das langsame Aufbrechen von Eleanors Panzer.
Eleanor berichtet von ihrem Leben und ihren Erfahrungen mit ihrer ganz eigenen Stimme und man ahnt, dass ihre Wahrnehmung sich nicht immer mit der anderer Menschen deckt. Sie ist kein verlässlicher Erzähler ihrer eigenen Geschichte, im Gegenteil. Es könnte eine sehr traurige Story sein, aber in ihrer ungewöhnlichen Wahrnehmung liegt auch eine Beobachtungsschärfe und ein Zynismus, die enttarnend ist für die seltsamen sozialen Zusammenhänge und Situationen, in denen wir uns Tag für Tag bewegen. Warum antwortet man immer "Danke, gut." auf die Frage, wie es einem geht? Warum ist es die einzig richtige Antwort? (In Deutschland allerdings etwas weniger definitiv als in Großbritannien...siehe Titel...) So sind auch andere Gewohnheiten und gesellschaftliche Gepflogenheiten bei näherer Betrachtung und unter Eleanors Lupe gar nicht mehr so logisch, wie man gemeinhin denkt.
Ich, Eleanor Oliphant ist eine ergreifende Geschichte, legt den Finger in die Wunde der großen Einsamkeit, in der viele Menschen in unserer Gesellschaft unerkannt leben, und macht zugleich Hoffnung, dass es manchmal vielleicht nur kleiner Gesten von Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft bedarf, um etwas zu bewegen. Damit gelingt Gail Honeyman eine Mischung aus unterhaltsamer und emotionsgeladener Geschichte und einer bedenkenswerten Botschaft.
Gail Honeyman, Ich, Eleanor Oliphant. Lübbe Audio 2017.
Interview with Gail Honeyman (Guardian)
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