Der Roman
Die Nachtigall der amerikanischen Autorin Kristin Hannah wurde im Jahr 2015 publiziert und erzielte großen kommerziellen Erfolg und erhielt durchweg gute Kritiken. Bei mir stand es auch schon lange auf der Leseliste.
Eingebettet in eine Rahmenhandlung einer gealterten Ich-Erzählerin im Jahr 1995, die sich auf den Weg zu einer Tagung über die und zu Ehren der Résistance in Paris macht, wird die Geschichte zweier Schwestern während des zweiten Weltkriegs erzählt.
Isabelle ist die impulsive, von Energie strotzende Schwester, die sich Konventionen und Anweisungen konsequent widersetzt. Bei der Besetzung Frankreichs durch die Deutschen führt ihr Weg sie direkt zur aktiven Mitarbeit in der Widerstandsbewegung. Sie rettet unter dem Decknamen "Nachtigall" zahlreichen alliierten Piloten das Leben, in dem sie sie zu Fuß über die Pyrenäen aus dem Land bringt. Dieser Teil der Geschichte beruht auf einer wahren Begebenheit [de Jongh].
Viann dagegen hat sich früh für eine Heirat entschieden und versucht mit ihrer Tochter in ihrer Kleinstadt trotz der Besetzung zu überleben, während ihr Mann in Deutschland in Gefangenschaft ist. Zunehmend erlebt sie die Schrecken des Krieges, als Dorfbewohner und ihre beste (jüdische) Freundin deportiert werden. Sie nimmt den Sohn der Freundin bei sich auf und hilft, weitere jüdische Kinder als Waisen getarnt in einem Kloster zu verstecken. Hunger und Misshandlungen durch die Deutschen dramatisieren ihre Situation.
Der Vater der Schwestern ist seit dem ersten Weltkrieg und dem Tod der Mutter nicht mehr er selbst und verhält sich stark distanziert zu den Geschwistern, arbeitet aber schlussendlich auch für die Résistance.
Der Roman wurde allenthalben gelobt für die Darstellung der Rolle der Frauen in der französischen Widerstandsbewegung und den Kriegsleiden der zurückgebliebenen Frauen und Kinder im besetzen Frankreich.
Ja, okay. Es ist fast ein bisschen zuviel Kriegsleiden, das da auf die einzelnen Charaktere einprasselt, dafür das man sich in einer Kleinstadt befindet, die nur durch den Flughafen etwas mehr Relevanz hat. Der Plot zieht sich dadurch stellenweise in die Länge, weil eben noch ein Unheil und noch eines geschieht, das ist aber vermutlich gewollt. Gleichzeitig wird der charakterliche Gegensatz und der Konflikt der Schwestern besonders im ersten Teil stark forciert und emotional aufgeladen. Vor dem Hintergrund der dramatischen Ereignisse scheint dies teilweise unglaubwürdig und aufgesetzt. Entsprechend gefühlsintensiv erfolgt dann die Aussöhnung der Schwestern im letzten Viertel des Romans, nachdem beide unfassbares Leid im Konzentrationslager bzw. durch die Hand der Deutschen erlitten haben, besinnen sie sich auf die Liebe zueinander. Auf der Ebene von 1995 kann sich Viann mit der Vergangenheit aussöhnen, ihrem Sohn von ihrer Geschichte erzählen und sogar noch den verlorenen Ziehsohn wiederfinden. Die tränenbeseelten Rezensionen, von denen es viele gibt, sind nachvollziehbar, denn hier wird es - sehr amerikanisch - am Ende sehr emotional und, obwohl es eine Geschichte über den zweiten Weltkrieg ist, kann man fast von einem Happy End sprechen.
Vielleicht habe ich zuviele Bücher über diese Zeit gelesen. Die Autorin hat für Die Nachtigall sicher Recherchen betrieben, dennoch blieben viele Lücken in den historischen Zusammenhängen, die Arbeit der Résistance wird nur oberflächlich beschrieben, alle befinden sich in steter Gefahr und sind unfassbar selbstlos. Politisch-historische Zusammenhänge fehlen gänzlich, de Gaulle kommt nur als Figur kurz vor, wie sich der Widerstand weiter organisiert und wächst verschweigt Hannah. Statt dessen liegt der Fokus auf den Emotionen der beiden Protagonistinnen, die aber selbst bei Isabelle dann weniger von Widerstand als vielmehr von Sehnsucht nach Liebe getrieben sind. Viele andere Romane erzählen meines Erachtens überzeugender von der Verzweiflung und Bedrängnis, die Menschen im Krieg erfahren. Anrührend ist Die Nachtigall durchaus, ich habe mir die Geschichte auch nicht ungern bis zum Ende erzählen lassen, die hohe literarische Qualität, die dem Buch teilweise zugesprochen wird, kann ich allerdings nicht ganz nachvollziehen. Vielleicht ist es auch bezeichnend, dass bereits 2022 die Verfilmung in die Kinos kommen soll...
Kristin Hannah, Die Nachtigall. Aufbau Audio 2016.