Saturday, July 16, 2022

Eduard von Keyserling - Wellen

Eduard von Keyserling (1855-1918) veröffentlichte seinen Roman Wellen 1911 in der Zeit des literarischen Impressionismus. 

Die Figuren des Romans befinden sich alle zur Sommerfrische an der Ostsee in eigens für sie eingerichteten Häusern, während die einheimischen Fischer und ihre Familien sich in Nebengebäude zurückziehen. Dreh- und Angelpunkt der Handlung ist das aufsehenerregende Pärchen Doralice und Hans. Doralice hat ihren adligen Ehegatten verlassen, um mit dem Maler Hans zusammen sein zu können. Ihre Anwesenheit stört das gesellschaftliche Denken der Familien von Buttlär und Palikow, aufgrund der räumlichen Nähe am Strand begegnen sie sich jedoch zwangsläufig, was zu emotionalen Wirrungen führt, als die Töchter der Familie Doralice anhimmeln und der Verlobte einer der Töchter glaubt, sich in sie verliebt zu haben. Einzig der Geheimrat Knospelius scheint die Lage so hinzunehmen, wie sie ist, und sich mit allen gut verstehen zu wollen. Eine besondere Rolle fällt dem stets gegenwärtigen Meer zu, dessen titelgebende Wellen das Geschehen und vor allem die Stimmungen stark beeinflussen. Getreu dem impressionistischen Gedanken spielen die Wahrnehmung und der Ausdruck dieser Wahrnehmung – sei es in tatsächlichen Schilderungen oder in Träumen – eine gravierende Rolle. Die Darstellung des Meeres als natürlichem Protagonisten der Geschichte war sehr interessant, während mir Doralice als übernatürliche Schönheit, der alle erliegen, mir zu konstruiert und zu bedürftig erschien. Ihre Unzufriedenheit und ihr ständiges Bedürfnis nach Bestätigung wird schlussendlich durch das Meer abgestraft. 

Insgesamt ein recht lesenswerter Klassiker, der zu Unrecht wenig beachtet wird.

 

Eduard von Keyserling, Wellen. SZ Bibliothek Band 30, München 2004.

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