Thursday, September 26, 2024

Antonia Michaelis - Der Märchenerzähler

In Der Märchenerzähler erzählt Antonia Michaelis die Geschichte eines Außenseiters und eine Liebesgeschichte. Anna steht kurz vor dem Abitur, als sie sich in Abel verliebt. Der steht immer am Rand des Schulhofs, schwänzt oft, schläft im Unterricht und verkauft Drogen. Dennoch will sie ihn besser kennenlernen und entdeckt, dass er allein für seine kleine Schwester Micha sorgt, seit ihre Mutter verschwunden ist. Der Schwester erzählt er ein Märchen, bei dem er die Bedrohnisse der realen Welt in der Handlung versteckt und auch die Figuren entleiht er sich ihrer Gegenwart. Anna ist fasziniert, doch sie bekommt auch ein wenig Angst um ihn und vor ihm, denn im Märchen und in der Realität enden einige der Ereignisse tödlich und immer ist es Abel, der eine Verbindung zu den Opfern hatte.

Der Märchenerzähler ist eine sehr poetische, aber auch grausame Geschichte. Anna, die sensible Flötistin, bewegt sich in einem behüteten, stabilen Umfeld mit besorgten Eltern, zu denen sie ein gutes Verhältnis hat. Abel kämpft mit allen Mitteln für den Schutz seiner Schwester und das Überleben in einer ihm feindlich gesinnten Welt, weil sein Leben nicht der Norm entspricht. Die Autorin wählt drastische Ereignisse, die stellenweise übertrieben wirken, andererseits passt dies zu Abels zweischneidigem Charakter, dessen Handlungen unvorhersehbar bleiben. Gerade das macht auch die Bedrohlichkeit des Romans aus - schon nach einigen Kapiteln hat man das ungute Gefühl, dass es in dieser Geschichte kein Happy End geben kann. Die Protagonistin Anna träumt sich zwar am Ende eines herbei, aber die Autorin Michaelis entschied anders. Im starken Kontrast zu den grausamen Realitäten steht die poetische Märchenwelt, die Abel für seine Schwester und später auch für Anna erschafft. Im Audiobook werden die Stimmungen noch betont durch eine sehr passende Musikauswahl, was mir gut gefallen hat. 

Antonia Michaelis, Der Märchenerzähler. Oetinger/Igel Records 2012.

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